Exklusives DW-Interview: George W. Bush über Merkels Erbe
„Angela Merkel hat ihre sehr wichtige Position mit Klasse und Würde ausgefüllt und sehr schwierige Entscheidungen getroffen. Sie hat getan, was das Beste für Deutschland war, und sie hat es basierend auf Prinzipien getan“, sagte der ehemalige US-Präsident George W. Bush im Interview mit DW Bureau Chief Washington Ines Pohl vor Merkels Abschiedsbesuch im Weißen Haus am 15. Juli.
Das Interview wurde in der Sommerresidenz der Familie Bush in Maine geführt und ist Teil der DW-Dokumentation „Angela Merkel – Kanzlerin in Krisenzeiten“. Die Dokumentation strahlt die DW kurz vor der Bundestagswahl im September aus.
Zum Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan sagte Bush: „Afghanische Frauen und Mädchen werden unsägliches Leid erfahren. Das ist ein Fehler. (...) Sie werden einfach zurückgelassen, um von diesen sehr brutalen Leuten umgebracht zu werden. Es bricht mir das Herz.“ Er vermute, dass Angela Merkel „ebenso fühlt“.
Bush warnte vor einer Abhängigkeit Deutschlands von der russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2. „Je stärker eine Nation, die keine offene Demokratie ist, eine Demokratie wirtschaftlich in den Würgegriff nimmt, desto schwieriger wird die strategische Position der Menschen dort“, sagte der Präsident.
„Wirkliche Gefahr“ seien Verschwörungstheorien
Die Zunahme populistischer Tendenzen weltweit ist für Bush ein Signal für eine „Frustration mit der Gesellschaft“. Die „wirkliche Gefahr“ gehe indes von Verschwörungstheorien aus. „Es wird starke Politiker brauchen, um einige dieser lächerlichen extremistischen Ideologien – sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite – zu widerlegen.“
Merkels Umgang mit der Flüchtlingskrise 2015 sei „von menschlichem Mitgefühl geleitet“ gewesen, so Bush. „Es war eindeutig eine schwere politische Entscheidung für sie, aber sie hat die Führung übernommen.“ Die Welt brauche „Führung, die auf Prinzipien basiert“.
Über die spontane Nackenmassage, die Bush Merkel beim G8-Gipfel in Russland im Jahr 2006 gab, sagte der Präsident, es sei „eine Art spontaner Ausdruck von Freundschaft“ gewesen. Er sagte, er „würde es nicht eine ausgedehnte Massage nennen. (...) Ich bin sicher, die Leute wissen, was sie davon halten sollen. (...) Es ist eines dieser Dinge, die einfach passiert sind.”
Bushs positive Äußerungen über Merkels Kanzlerschaft stehen im Kontrast zu denen über ihren Vorgänger Gerhard Schröder. Schröder habe ihn „als politisches Pfand für seine Wiederwahl“ benutzt, sagte Bush. „Es wurde sehr persönlich. Einige Kabinettsmitglieder sagten Dinge, die sie nicht hätten sagen sollen.“
Merkels dreifache Wiederwahl spreche „Bände über ihre Erfolge“, so Bush. Er nannte die Kanzlerin „eine mitfühlende Führungspersönlichkeit, eine Frau, die keine Angst hat zu führen“ und ein Vorbild für Frauen und Mädchen. „Sie ist eine sehr bedachte und freundliche Person, die es geschafft hat, in einem ziemlich harten politischen Umfeld zu bestehen“, fügte Bush hinzu.
Das 26-minütige Interview ist auf der Website dw.com/de und auf YouTube als Video-on-Demand abrufbar. Das Interview ist der Auftakt zur umfassenden Berichterstattung der DW über den Bundestagswahlkampf und die Bundestagswahl am 26. September.