Neuer Krieg im Ostkongo?
2. Juli 2012Es herrscht dichtes Gedränge auf dem Fußballplatz von Minova, einer Kleinstadt am Kivu-See im Ostkongo. Aus allen Himmelsrichtungen treffen tagtäglich Vertriebene ein: Frauen, Kinder, Alte. Sie sind ausgehungert, verzweifelt, traumatisiert – denn dort, wo sie herkommen, liefern sich Rebellengruppen einen brutalen Krieg.
Die UN-Hilfswerke sind komplett überfordert. Über 200.000 Menschen sind im Ostkongo seit April auf der Flucht. Hier in Minova verteilt das Welternährungsprogramm Energie-Kekse: 1000 Kalorien pro Keks, ein Kilo pro Person. Das muss mindestens eine Woche reichen.
Anarchie im Dschungel
Mashimango Meshi ist der Sprecher der Vertriebenen. Er stammt aus Ziralo, einer Siedlung 80 Kilometer entfernt. Dort ist er Gemeinde-Pfarrer. Vier bewaffnete Gruppen würden sich derzeit in Ziralo gegenseitig bekämpfen, berichtet er. Jeweils zwei Gruppen hätten nun Allianzen gebildet: "Im Prinzip greifen die lokalen Milizen der Raia Mutomboki-Bewegung die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas, Anmerk. der Red.) an, um diese zu vertreiben“, erklärt Meshi. Raia Mutombiki heißt übersetzt "die verärgerten Menschen". Die FDLR räche sich wiederum an der Bevölkerung und brennen Hütten nieder und töten.
Es herrscht Anarchie im Dschungel, denn Kongos Armee hat fast alle Truppen aus dem Hinterland abgezogen und sie in die Virunga-Vulkan-Berge an der Grenze zu Ruanda verlegt. Jetzt machen sich im Hinterland die Rebellen breit. In den Virunga-Bergen wiederum liefert sich die Armee täglich Feuergefechte mit einer neuen Miliz: der M23 unter der Führung von Bosco Ntaganda. Ntaganda wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit Haftbefehl gesucht. Der Kriegsfürst hat in seinem Leben viele Rebellengruppen angeführt: zuletzt den CNDP – den sogenannten Nationalkongress zur Volksverteidigung. 2009 kam es zum Friedensvertrag. Der CNDP hatte sich mit 6000 Kämpfern in die Armee integriert, Ntaganda hatte einen Generalsrang bekommen. Doch im April desertierte er mit seinen Truppen und gründete die M23, nachdem Kongos Präsident Kabila verkündet hatte, den vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal gesuchten General in Den Haag auszuliefern.
Infiltration in Zivil
Kitchanga – eine Kleinstadt hoch oben in den Bergen mitten zwischen grasgrünen Almen, auf denen zigtausende Kühe grasen. Kitchanga war einst das Hauptquartier des CNDP. Hier haben Ntaganda und seine Mitstreiter ihre Kuhherden stehen, hier sind sie geboren. Und hier begann im April die Meuterei der CNDP-Kämpfer aus der Armee, berichtet Edmond Lwanda von der Stadtverwaltung. Die Truppen, die in Kitchanga stationiert waren, hätten fast ausschließlich aus ehemaligen CNDP-Kämpfern bestanden. Im April seien sie alle desertiert und hätten sich der M23 angeschlossen, um einen Krieg gegen die Regierung zu führen. "Viele der Deserteure haben ihre Uniformen abgelegt und unsere Stadt in zivil infiltriert“, berichtet Lwanda. Eine große Zahl von Hutu und Tutsi, die in Kitchanga gelebt hatten, seien nach Ruanda geflüchtet. "Wir wissen nicht, warum. Aber es ist für uns ein Signal, dass sich hier etwas Schlimmes ereignen könnte. Wir rechnen jetzt damit, dass wir alle sterben werden", klagt Lwanda. Die Lage sei unübersichtlich und schwer zu verstehen.
Dies scheint eine Strategie von Ntaganda zu sein: M23-Rebellen infiltrieren derzeit in zivil die Provinzen des Ostkongo – mehrere Tausende. Wie Schläfer warten sie auf einen Befehl, um loszuschlagen und weite Teile des Ostkongo einzunehmen. Zudem schließen sie Bündnisse mit anderen Rebellengruppen. Gemeinsam wollen sie Kongos Armee besiegen.
UNO beschützt die Vertriebenen
Die UN-Blauhelme sind bemüht, sich in diesen Konflikt nicht einzumischen. Ihre Aufgabe beschränke sich darauf, die Bevölkerung zu schützen, erklärt Alexander Essome von der UNO-Mission im Ostkongo. "Die Bevölkerung rennt derzeit vor den Kämpfen rund um die Virunga-Berge in Rutshuru davon. Oftmals hören sie nur Gerüchte, dass es Kämpfe geben werde und schon laufen sie davon. Unsere Blauhelme bemühen sich, Korridore zu errichten, durch welche die Menschen flüchten können, um sich in Sicherheit zu bringen", sagt er.
Ein Ziel der Flüchtlinge - das Nachbarland Ruanda - scheint Teil des Problems zu sein. UN-Experten haben im Sicherheitsrat in New York Beweise vorgelegt, dass Ruanda Ntagandas M23 aufrüstet. Die Beziehungen zum Kongo stecken erneut in einer tiefen Krise. Die Regierungen werfen sich gegenseitg vor, das Chaos hervorgerufen zu haben.