Friedenspreis für Kiefer
19. Oktober 2008Seine Kunst ist ein Aufstand gegen das kollektive Verschweigen – so formulierte es der Kunsthistoriker Werner Spies in seiner Laudatio in der Frankfurter Paulskirche. Es gebe keinen anderen Künstler in Deutschland, der sich auf derart sichtbare und riskante Weise der Geschichte zugewandt habe.
Die Stunde Null
Kiefer setzt sich in seinen Arbeiten wiederholt mit der NS-Zeit auseinander. Seine Werke schockieren, so auch bei seinem ersten internationalen Auftritt – 1980 bei der Biennale in Venedig. Ruinen nationalsozialistischer Bauten, Beschwörung nordischer Mythen, so etwas gab es zuvor nicht zu sehen.
Die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit steht für Kiefer im Mittelpunkt seiner Arbeit. Die Trümmer in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg sind seiner Meinung nach viel zu schnell weggeräumt worden. Und auch nach der Wiedervereinigung hätte man nicht die Stunde Null ausrufen sollen, so Kiefer in der Paulskirche. Statt dessen hätte man den Raum zwischen den beiden ehemaligen Staat und Systemen leer lassen können, um den so genannten Todesstreifen fortan regelmäßig zu pflügen wie einen Zen-Garten, sagte Kiefer in seiner Dankesrede.
Wunderbarer leerer Raum
"Man hätte einen leeren Raum erhalten können, einen Meditationsraum der Geschichte, in den die Menschen hätten hinabsteigen können – hinabsteigen in sich selbst", sagte der 63-jährige Künstler und nannte den Potsdamer Platz in Berlin als markantes Beispiel. Denn der Platz der früher durch eine – wie Kiefer es nennt – "melancholische Leere" gekennzeichnet war, sei heute dicht bebaut. "Wäre dieser Platz geblieben, wie er war, so wäre das ein wunderbarer leerer Raum geworden, bis zum Bersten angefüllt mit Geschichte."
Es ist diese Arbeit des Vergegenwärtigens – so Laudator Werner Spies – durch die Kiefer einen Beitrag liefere, der in hohem Maße mit dem zu tun habe, was den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausmacht: auf eklatante und lästige Weise gegen das Vergessen und für die Aufklärung zu kämpfen.