Arbeiterproteste für mehr Lohn
26. Juli 2010Gewaltsame Proteste beherrschten vor kurzem die Industriezone Ashulia in der Nähe der Hauptstadt Dhaka. Zehntausende Textilarbeiter beschädigten Fabriken, setzten Lieferwagen in Brand und errichteten Straßenbarrikaden. Die Polizei reagierte mit Wasserwerfern und Tränengas. Rund 250 Fabriken mussten zeitweise ihre Produktion einstellen.
Rund drei Millionen Menschen arbeiten in Bangladeschs Textilindustrie. Die überwiegende Mehrheit sind Frauen. Sie nähen Jeans, T-shirts und Jacken für große westliche Markenunternehmen wie H&M, Carrefour oder Wal-Mart.
Mindestlohn reicht nicht zum Überleben
Viele der Textilarbeiterinnen erhalten nur den gesetzlichen Mindestlohn, etwa 1600 Taka, das entspricht rund 20 Euro im Monat. Trotz steigender Nahrungsmittel- und Energiepreise sind die Löhne seit 2006 unverändert. Der bisherige Mindestlohn in Bangladesch sei einer der niedrigsten der Welt, sagt Amirul Haque Amin, Vorsitzender der Textilarbeiter-Gewerkschaft Bangladesh National Garment Workers Federation: "Mit dem Gehalt, das vor Jahren festgelegt wurde, ist es völlig unmöglich zu überleben. Deshalb fordern wir einen Mindestlohn von 5000 Taka."
Die gewaltsamen Proteste haben vorerst aufgehört. Die Arbeiter warten auf ein Zeichen der Regierung. Eine Dreiparteien-Kommission aus Regierungsvertretern, Fabrikbesitzern und unabhängigen Mitgliedern verhandelt zur Zeit über einen neuen Mindestlohn.
Niedrige Löhne sichern Konkurrenzfähigkeit
Die Interessen klaffen weit auseinander. Die Unternehmer klagen über steigende Betriebskosten und Garnpreise, sagt Mustafizur Rahman, Direktor der Denkfabrik "Centre for Policy Dialogue" in Dhaka: "Sie sind zwar bereit, den Mindestlohn zu erhöhen, aber nicht auf den Betrag, den die Textilarbeiter fordern."
Bangladeschs Unternehmer wissen, dass die niedrigen Lohnkosten ein gewaltiger Vorteil sind in der Konkurrenz mit dem großen Rivalen China. In China steigen die Gehälter, und viele multinationale Konzerne haben begonnen, sich nach preiswerteren Produktionsstandorten umzusehen. Aber wenn Bangladesch mehr ausländische Investitionen anziehen will, kann es sich keine Arbeiterunruhen leisten. "Die Mindestlohn-Kommission muss eine goldene Mitte finden, die für Arbeiter und Unternehmer gleichermaßen akzeptabel ist, und die dabei immer noch Bangladesch erlaubt, auf dem Weltmarkt zu konkurrieren", erklärt Mustafizur Rahman.
Neue Aufträge nach Exporteinbrüchen
Die Textilindustrie erwirtschaftet mit ihren Exporten rund 80 Prozent der Deviseneinnahmen Bangladeschs und ist damit eine Schlüsselindustrie in dem verarmten südasiatischen Land. Doch im vergangenen Jahr, nach der weltweiten Finanzkrise, brachen die Exporte dramatisch ein. Erst seit kurzem kommen wieder neue Aufträge, sagt Wirtschaftswissenschaftler Rahman. Die weltweite Erholung beginne gerade, sich positiv auf das Exportwachstum Bangladeschs auszuwirken. Diese günstige Gelegenheit dürfe man nicht aufs Spiel setzen.
Die Regierung hat ein großes Interesse daran, die Situation unter Kontrolle zu halten. Premierministerin Sheikh Hasina wird daher voraussichtlich am Ende dieses Monats einen neuen Mindestlohn-Kompromiss verkünden.
Gewerkschaftsverbot verlagert Probleme auf die Straße
Aber das wird nicht das ganze Problem lösen, betonen Gewerkschaftsführer. Denn die Ursachen für die Arbeiter-Unruhen liegen tiefer. Zum Beispiel in der Tatsache, dass die Textil-Fabrikanten keine Gewerkschaften zulassen, sagt Amirul Haque Amin von der National Garment Workers Federation: "Die Textilarbeiter haben keinen Mechanismus, durch den sie ihre Probleme innerhalb der Fabrik lösen können. In dieser Situation werden ihre Probleme verlagert - auf die Straße und in die Fabrikblockaden." Darüber hinaus sieht Amin auch den Westen in der Verantwortung. Der Gewerkschaftsführer ruft die ausländischen Abnehmer auf, faire Preise für Kleidung "made in Bangladesh" zu zahlen.
Autorin: Ana Lehmann
Redaktion: Rolf Wenkel