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Benjamin Brittens Anti-Kriegserklärung

Marita Berg5. Juni 2013

Brittens "War Requiem" ist nicht nur eine Messe zum Gedenken an die Toten zweier Weltkriege, sondern ein Friedensappell. Vor 50 Jahren, am 6. Juni 1963, erlebte das Werk seine deutsche Erstaufführung in München.

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Coventry Kathedrale
Coventry KathedraleBild: picture alliance/Arco Images GmbH

Zu den bedeutendsten Chorwerken, die die Kriege des 20. Jahrhunderts thematisieren, gehört das "War Requiem" von Benjamin Britten. Der glühende Pazifist komponierte das "Requiem gegen den Krieg" im Auftrag der englischen Gemeinde Coventry. Es wurde am 30. Mai 1962, zur Einweihung der neuaufgebauten St. Michael's Cathedral, uraufgeführt. Die gotische Kathedrale war im Zweiten Weltkrieg von deutschen Fliegerbomben zerstört worden. In der Bombennacht starben mehr als 500 Menschen, die meisten Gebäude der Stadt wurden vernichtet. "Feuersbrünste vollendeten das Vernichtungswerk in Mittelengland", schrieb damals die deutsche Propaganda über diesen gezielten Angriff auf die britische Zivilbevölkerung.

Warnung vor Kriegsverherrlichung

Inside the ruins of Coventry Cathedral in England, which was devastated by German air raids in 1940, wounded U.S. soldiers are seen from above as they attend a Mother's Day service on May 13, 1945, a few days after the end of World War II. The men are patients from nearby convalescent hospitals. (AP Photo)
Die zerbombte Kathedrale von CoventryBild: AP

"Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges. Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist warnen". Diese Worte des britischen Dichters Wilfred Owen hat Benjamin Britten seinem Requiem vorangestellt. Denn Owens "Gedichte von der Front" sind Textgrundlage des groß besetzten Werks: Britten konfrontiert den Text der lateinischen Totenmesse mit Owens eindringlichen Antikriegsgedichten. Die Verse sind während des Ersten Weltkriegs entstanden. In den Gedichten schildert Owen seine bitteren Kriegserfahrungen mit drastischen Bildern, das sinnlose Leiden und Sterben in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Dabei stellt er staatlich verordnete Kriegsverherrlichung bloß. Wilfred Owen starb in den letzten Kriegstagen im Alter von nur 25 Jahren.

Brückenschlag zwischen Kriegsgegnern

Benjamin Britten bei einer Probe des "War Requiem"
Benjamin Britten bei einer Probe des "War Requiem"Bild: AP

Für Benjamin Britten waren "diese großartigen Gedichte, die voller Hass sind auf jegliche Zerstörung, eine Art Kommentar zum Text der Totenmesse." Sein "War Requiem" sollte aber nicht nur ein Werk der Trauer über die unzähligen Kriegstoten sein, sondern auch ein Zeichen der Versöhnung. Und Versöhnung, davon war Britten überzeugt, war nur im Dialog der Nationen möglich. So sang auf Wunsch des Komponisten auch der deutsche Bariton Dietrich Fischer-Dieskau bei der Uraufführung in Coventry. In einem Brief hatte Britten den damals 37 Jahre alten Sänger um Mitwirkung gebeten: "Was ich schreibe, wird wohl eines meiner wichtigsten Stücke werden. Owens Kriegsgedichte sind konzipiert für Tenor und Bariton. Sie erfordern einen Gesang von äußerster Schönheit, Intensität und Ernsthaftigkeit. Peter Pears hat sich einverstanden erklärt, den Tenor zu singen, und ich bin so kühn Sie zu fragen, ob Sie die Baritonpartie singen möchten."

Botschaft der Versöhnung

German baritone and conductor Dietrich Fischer-Dieskau, circa 1965. (Photo by Erich Auerbach/Getty Images)
Dietrich Fischer-DieskauBild: Getty Images

Dietrich Fischer-Dieskau sagte sofort zu. Am 30. Mai 1962 sang er gemeinsam mit dem britischen Tenor Peter Pears unter Leitung des Komponisten die Uraufführung des "War Requiems" in Coventry. Für Fischer-Dieskau war es "eine der wichtigsten künstlerischen Erfahrungen". Doch nicht nur das: Er setzte sich dafür ein, dass dieses "Requiem gegen den Krieg“ auch jenseits des Ärmelkanals aufgeführt wurde. Und so sang Fischer-Dieskau schon ein Jahr später, am 6. Juni 1963, die deutsche Erstaufführung im Herkulessaal in München. Rafael Kubelik dirigierte den Tölzer Knabenchor sowie Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks. Am Ende der Aufführung war es im Saal eine Viertelstunde lang totenstill, berichteten Zuhörer. Und auch Fischer-Dieskau erinnerte sich, dass die Ergriffenheit beim Schlussgesang "Let Us Sleep Now" kaum auszuhalten gewesen sei: "Die Aufführung schuf eine so dichte Atmosphäre, dass ich am Ende völlig aufgelöst war. Ich hatte die gefallenen Freunde vor meinem inneren Auge, und die vergangenen Leiden."

Requiem auch für die Frauenkirche

Die wiederaufgebaute Frauenkirche in Dresden
Die wiederaufgebaute Frauenkirche in DresdenBild: AP

Knapp drei Jahre später konnte das "War Requiem" - in Zeiten des Kalten Krieges - sogar den Eisernen Vorhang überwinden: Am 13. Februar 1965, zwanzig Jahre nach der Zerstörung Dresdens, fand in der Dresdner Martin-Luther-Kirche die DDR-Erstaufführung statt, mit Theo Adam und der Dresdener Staatskapelle unter der Leitung von Kurt Sanderling. Damals schickte Benjamin Britten Grußworte. "Es hat mich sehr bewegt zu hören, dass mein Requiem bald in Dresden aufgeführt werden soll und dass das Konzert am Jahrestag der schrecklichen Ereignisse stattfinden wird." Es sollte nicht die letzte symbolträchtige Aufführung in Dresden bleiben: Am 25. Oktober 2008 stand das Werk erstmals in der wiederaufgebauten Frauenkirche auf dem Programm, aufgeführt von der Dresdner Philharmonie unter der Leitung von Claus Peter Flor. Wie die Kathedrale in Dresdens Partnerstadt Coventry ist auch die Frauenkirche ein Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung. Die Sächsische Zeitung schrieb nach dem Konzert: "Selten lebten Klangkörper und Raum eine derart harmonische Beziehung. Es schien, als habe Britten den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche vorhergesehen und sein Requiem unbewusst diesem Bau gewidmet."