Geschichtszeugnis bekommt Risse
1. März 2013Umringt von Polizisten, Demonstranten, Bauarbeitern und Kränen, so zeigte sich am Freitagmorgen das längste noch original erhaltene Stück der Berliner Mauer, die bunt bemalte sogenannte East-Side-Gallery nahe der Oberbaumbrücke und dem Berliner Ostbahnhof im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain.
Ein Kran riss ein Stück aus der East Side Gallery, bevor der Teilabriss nach Protesten von mehreren hundert Menschen vorerst gestoppt wurde. Ob und wann die Arbeiten fortgesetzt werden, war zunächst nicht bekannt. Vertreter von Bürgerinitiativen sowie Künstler hatten das Areal an der weltweit längsten Open-Air-Galerie blockiert. Es gab kleinere Rangeleien mit der Polizei. Fünf Demonstranten wurden festgenommen.
Private Investoren kontra deutsche Geschichte
Wegen eines privaten Bauprojekts zwischen der früheren Berliner Mauer und dem Ufer der Spree sollten für einen Durchgang mehrere Blöcke aus dem Betonwall herausgenommen werden. Damit soll ein Zugang geschaffen werden zu einem auf dem früheren Todesstreifen geplanten und bereits genehmigten ein 14-stöckigen Hochhaus mit Luxuswohnungen. Die Pläne des Investors stammen zum Teil noch aus den 1990er Jahren. Es ist nicht die erste Bresche, die in die für die Deutschen so symbolträchtigen Reste des Mauerbauwerks der früheren DDR geschlagen werden soll. In der Vergangenheit hatten Investoren bereits mehrere Durchbrüche erstritten.
Die Vorbereitungen für die jüngste Abbaumaßnahme hatten am Donnerstag überraschend begonnen. Auf einer Länge von rund 20 Metern, der geplanten Gesamtbreite des Durchbruchs, wurde die obere Kante des Betonwalls abgetragen. Am Freitag wurde dann ein erstes rund ein Meter breites Stück aus dem Mauerwall herausgebrochen.
Teilerfolg für Bürgerprotest
Bei Künstler- und Bürgerinitiativen, aber auch bei den politischen Parteien traf die Baumaßnahme auf heftigen Widerstand. Von dem jetzt erreichten Baustopp erhoffen sich die Beteiligten eine Signalwirkung. Die Initiative "Mediaspree versenken!" sprach nach dem Stopp von einem Teilerfolg. "Wir kommen wieder", sagte Robert Muschinski für den Fall, dass der Abriss weitergeht.
Der Fraktionschef der CDU im Roten Rathaus, Florian Graf, sprach sich für ein Moratorium aus, um sowohl das Bauprojekt als auch die historische Mauerinstallation zu erhalten. Das Mauerstück stehe für die Identität der Stadt. Die oppositionelle Grünen-Fraktion warf dem rot-schwarzen Senat vor, die internationale Bedeutung des Kunst- und Gedenkortes zu ignorieren. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) müsse sich für die Sicherung der Bildergalerie einsetzen, forderte Fraktionschefin Antje Kapek. Der Dachverband der SED-Opfer sprach angesichts der Beschädigung von einem dramatischen Akt von Kulturbarbarei und einer gefährlichen Geschichtsvergessenheit.
Schon vor dem Teilabriss stand fest, dass der Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses am 11. März über die bedrohten Mauerbilder diskutieren will. Die CDU hatte die Debatte unter dem Titel "Verunstaltung an der East Side Gallery" beantragt.
Mauerabbruch in der Wendezeit
In der Euphorie über die Wiedervereinigung waren große Teile der Berliner Mauer abgerissen und geschreddert worden. Heute ringen Historiker und Opfer um den Erhalt der wenigen originalen historischen Zeugnisse. Die East Side Gallery entstand nach dem Mauerfall. Knapp 120 Künstler aus zahlreichen Ländern bemalten im Jahr 1990 den Betonwall, der die Stadt von 1961 bis 1989 in einen Ost- und einen Westteil trennte, auf 1,3 Kilometer Länge mit großformatigen Wandbildern. Das Mauerkunstwerk zieht jedes Jahr hunderttausende Touristen an. Zu den bekanntesten Motiven gehören der "Bruderkuss" und der die Mauer durchbrechende Trabi.
Weitere Mauer-Originalstücke gibt es noch an der Gedenkstätte in der Bernauer Straße. Mauerteile wurden aber auch in alle Welt verkauft.
qu/uh (dpa,afp)