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Boom-Town Leipzig

Oliver Samson11. Februar 2005

Der Rummel um die "Neue Leipziger Schule" nimmt in der internationalen Kunstszene zunehmend hysterische Züge an. An der Hochschule in Leipzig stellen nun die Studenten aus - die Stars von morgen?

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Ausverkauft in 18 Minuten: Gemälde von Martin EdersBild: Martin Eder

Noch vor wenigen Jahren galt es zumindest als anachronistisch zu malen, wenn nicht sogar als reaktionär. Auf dem Kunstmarkt besetzten Öl und Leinwand nur noch Nischen. An der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig lehrte Professor Arno Rink seinen Studenten trotz allem unverdrossen Anatomie und Lasur, Grundierung und Figuration. Mitunter wurde er dafür belächelt. Heute gelten viele seiner Schüler als die kommenden Superstars der internationalen Kunstszene - die so genannte "Neue Leipziger Schule". Und selbst der jährliche Rundgang, eine Art Tag der offenen Tür der Hochschule, ist für Galeristen in diesem Jahr (11.-12.2.2005) fast eine Pflichtveranstaltung - unter den ausstellenden Studenten könnte ja ein weiterer Star von morgen sein.

Der globale Hot Spot

Neo Rauch
Der Maler Neo Rauch steht am 30.5.2002 im Maastrichter Bonnefanten Museum. Der Leipziger Künstler erhielt am 1.6.2002 den Kunstpreis "Vincent 2002" - den mit 50000 Euro höchst dotierten Kunstpreis, der in Europa an zeitgenössische Künstler verliehen wird.Bild: dpa

Speziell die Amerikaner sind von der Renaissance der deutschen Malerei begeistert. "The Future is German", rief das führende Branchenblatt The Art Newspaper im letzten Jahr aus. YGA, "Young German Art", ist das große Ding auf dem Kunstmarkt. Die Deutschen seien die "Art Stars of the Decade", meint die New York Times. Die "Neue Leipziger Schule" steht dabei zunehmend im Zentrum des Interesses: "art&auction" hat Leipzig nach New York, London und Berlin zum neuesten Hot Spot der globalen Kunstszene ausgerufen. Maler wie Neo Rauch werden nicht zuletzt auch als Anlagetipps gehandelt.

Die ganze Aufregung dreht sich um etwa ein Dutzend Maler meist um die 30, die zwar aus allen Ecken des Landes kommen, aber alle in Leipzig ausgebildet wurden. Von der Basler Kunstmesse im Herbst 2004 ist überliefert, dass Amerikaner bei jedem jungen Maler nachfragten: "But is he from Leipzig?" Rauch, Tim Eitel, Martin Eder oder David Schnell können momentan anscheinend gar nicht am Geschmack vorbei malen - egal ob es nun Landschaften, Akte oder auch Hundeporträts sind. Auf der Kunstmesse in Miami wurden alle fünf Werke Eders für jeweils 36.000 Euro verkauft - 18 Minuten nach der Eröffnung der Messe. Der dringende Wunsch, solche Gemälde zu besitzen, übersteigt eben bei weitem das Angebot. Es gibt eine inoffizielle globale Warteliste für neue Bilder - die noch gar nicht produziert sind. Ein Jahr muss man sich gedulden.

"Müde, Banausen zu sein"

Womit erklärt sich der an Hysterie grenzende Boom der Malerei? "Irgendwann waren die Museumsbesucher einfach müde, sich immer die 20-Minuten-Videos anzusehen und als Banausen zu gelten, weil sie nicht bis zum Ende durchgehalten haben", sagt Gerd Harry Lybke, Besitzer der Galerie Eigen+Art. Der Berliner Galerist - mit einer Dependance in Leipzig- vertritt etliche Protagonisten der "Leipzig School" und muss Sammler immer wieder vertrösten. Und wenn es doch etwas zu verkaufen gibt, geschieht dies unter dem Vorbehalt, die Werke zunächst an ein Museum zu verleihen. Das neue Museum für moderne Kunst in Leipzig kam so zu einem ganzen Saal von Neo Rauch.

Außenansicht Hochschule Leipzig
Das ist sie, die Leipziger Schule: Hochschule für Grafik und Buchkunst LeipzigBild: Hochschule f Grafik u Buchkunst Leipzig

Die Leipziger Hochschule erlebt derweil einen regelrechten Ansturm. 988 Bewerber haben zur Aufnahmeprüfung für das nächste Sommersemester gemeldet - für 80 Plätze. Für den Rundgang rechnet Pressesprecherin Marion Sprenger mit "mehreren tausend Gästen" - neben Kunstinteressierten auch viele Galeristen. "Natürlich gehen wir dahin", sagt Elke Hannemann von Eigen+Art. Aus Interesse. "Mit dem ganz großen Fokus, der gerade auf Leipzig gerichtet ist, werden natürlich sehr viele kommen, um sich umzuschauen." Heißt das, dass sich die Galeristen die Atelier-Türenklinken gegenseitig in die Hand geben? "Das wird so sein", ist sich Hannemann sicher.

Für das Loft oder die Kunst?

Der renommierte Sammler Rudolph Udo Scharpff rät derweil zur Besonnenheit. Er sammelt seit 40 Jahren und hat schon viele Trends kommen und gehen sehen. "Die Künstler sind noch so jung, man muss da erst mal warten, was da noch kommt. Wenn ein Künstler gut ist, ist er in fünf Jahren noch besser", sagt der 75-Jährige. Einige der "Leipziger" sammelt er in größerem Umfang. "Man soll das jetzt aber nicht nur ökonomisch sehen, sondern sich freuen, dass wir in Berlin, Leipzig und Dresden so eine lebendige Malergeneration haben." Ein, zwei Jahre werde der überhitzte Boom seiner Meinung noch anhalten, dann habe sich der Kaufrausch gelegt. Wer Bilder "nur für sein Loft" und nicht wegen des künstlerischen Gehaltes kaufen wolle, verliere bald die Geduld und suche sich etwas anderes.

Zum Leipziger Rundgang kann Scharpff nicht anreisen. Was er bedauert: "Man wird ja immer schlauer, wenn man sich etwas anschaut." Er wird erst wieder im April nach Leipzig fahren. Wegen einer Ausstellung - vor allem aber wegen der "Bach-Tage".