May beklagt Ideologien und Boris den Brexitosis
20. Februar 2018Eine weitere Rede von Theresa May, ein weiterer Rohrkrepierer. Die britische Premierministerin will auch künftig eine enge politisch-militärische Zusammenarbeit mit der EU, sagt sie bei der Münchner Sicherheitskonferenz. "Wir müssen schnell einen Vertrag abschließen, der alle Bürger in Europa überall schützt." Es scheint dass wir nach dem Brexit ohne die Briten und ihre machtvolle Armee so schwach und schutzlos sind wie Kätzchen.
Die Regierungschefin machte auch gleich ein paar Versprechen: Sie würde dem Europäischen Gerichtshof eine Rolle einräumen, wenn die Briten bei Europol, Eurojust und Europäischem Haftbefehl weiter mitmachten. Sie würde sogar ein paar Panzer in Deutschland stehen lassen als Zeichen unverbrüchlicher Freundschaft. Und London würde die neuen EU-Datenschutzregeln beachten, damit sich die Spione weiter austauschen können.
EU-Kommissions-Chef Jean-Claude Juncker allerdings deckt ihre Karte auf: Die Zusammenarbeit bei der Sicherheit kann nicht als Druckmittel für andere Aspekte der Brexit-Verhandlungen benutzt werden. Oder auch: Wir tauschen nicht die Präsenz von britischen Soldaten, überwiegend in Nato-Einsätzen, für den Zugang zum Binnenmarkt oder andere wirtschaftliche Vorteile.
Der Höhepunkt aber war Theresa Mays Forderung an andere europäische Regierungen, ihre "tiefsitzenden Ideologien" beiseite zu lassen um einen solchen Sicherheitsvertrag zu beschleunigen. Hat sie noch nie von Ironie gehört? Und wie haben die Zuhörer im Saal die Fassung behalten? Kein Wunder dass der deutsche Gastgeber der Konferenz in seiner Antwort auf May seufzte: "Die Dinge wäre so viel einfacher, wenn ihr bleiben würdet." Dafür erhielt er großen Beifall. IWF-Chefin Christine Lagarde soll aber noch während Mays Rede hinaus gegangen sein. Sie hatte woanders wohl wichtigeres zu tun.
Großbritannien hat die "Brexitosis"
Zu den weiteren Höhepunkten der vergangenen Woche gehörte auch eine Rede von Boris Johnson. Es gab ein bisschen antike Historie, ein paar peinliche Späßchen über britische Sextouristen in Thailand und das Versprechen, auch nach dem Brexit würden Briten sich in anderen Ländern verlieben und Rentner in Spanien in Ruhestand gehen. Beides dürfte eher schwieriger werden.
Ansonsten bleibt Boris bei seiner bekannten Vision von der Zukunft: Er will den Kuchen haben und essen. Großbritannien muss sich von den europäischen Regeln losmachen, um großartige globale Wirtschaftschancen zu nutzen. Gleichzeitig würde man weiter freien Handel mit der EU genießen, ganz als ob nichts wäre. Es werde weiter Immigration geben, aber nur noch von den Schlauesten. Und wir wären alle weiter beste Freunde.
Die Rede sollte ein Signal der Versöhnung für die "Drin-Bleiber" sein. Aber die Aufnahme war verhalten. Ein Vertreter des britischen Industrieverbands mahnte: "Beweisführung, nicht Ideologie, sollte unser Denken bestimmen." Und Chuka Umunna von der Labour Party giftete: "18 Monate nach dem Referendum war das einfach eine Neuauflage vom 'Projekt Phantasie'."
Ein Aspekt von Boris Rede aber dürfte lagerübergreifend anerkannt werden: Seine Diagnose, dass viele im Land an Brexitosis leiden. Das klingt wie Halitosis, ist aber nochmal deutlich unangenehmer. Es ist eine vom Brexit erzeugte akute Psychose. Die Krankheit ist unheilbar und der Patient erleidet dauerhaften Schaden.
Die Original-Brexit-Partei geht unter
UKIP war die Partei, deren kurze Beliebtheit die Brexit-Unterstützer bei den Tories anfeuerte und sie hat deshalb eine gewisse historische Verantwortung für den Schlamassel. Also gibt es jetzt einige Schadenfreude über die jüngste Serie von Pleiten, Pech und Pannen bei UKIP.
Inzwischen sucht die Partei ihren fünften Chef seit dem Referendum im Sommer 2016. Am Wochenende feuerten die Mitglieder nämlich Henry Bolton, der durch seine Affäre mit einem sehr blonden und sehr rassistischen Model für einen Skandal gesorgt hatte. Als sie nämlich die Verlobte von Prinz Harry beleidigte, war sogar bei den "Ukippern" Schluss.
Der neue Kandidat heißt Gerard Batten und man muss sich den Namen eher nicht merken. Bisher weiß man nur von ihm, dass er den Islam einen "Todeskult" genannt hat. Der Brexit ist im Sack, jetzt braucht die Partei ein neues Feindbild. Und Batten meint, er sei der richtige Mann um die Partei zu retten. Andere glauben allerdings, sie sei am Ende, denn sie hat massive Schulden und keine Spender mehr. Seit PR-Genie Nigel Farage seiner Schöpfung den Rücken drehte, befindet sich UKIP im freien Sturz. Einige Mitglieder fordern schon, er solle zurückkommen und "seinen Mist aufräumen". Das ist allerdings extrem unwahrscheinlich.
Inzwischen hat sich eine neue Partei vorgestellt, die sich den Kampf gegen den Brexit zum Ziel gemacht hat. "Erneuerung" orientiert sich an Emmanuel Macrons "En Marche" und will endlich "alle politisch Heimatlosen" ansprechen. Hurra, es wurde auch schon langweilig in der britischen Politik.
Wir sind "neugierig"
Als Angela Merkel am letzten Freitag in Berlin Theresa May traf, sagte sie, dass sie "neugierig" sei auf deren Ideen über das künftige Verhältnis zur EU. Merkel hat durchaus eine Gabe für komisches Timing. Sie hebt eine Augenbraue, macht eine winzige Pause und sagt "Ich bin neugierig…".
Die meisten Beobachter des britisch-europäischen Dramas teilen wohl ihre Neugier. Am Donnerstag geht das britische Kabinett auf einen Betriebsausflug, um seine Haltung zum Brexit endlich abschließend zu klären. Danach wird Theresa May eine weitere Rede halten. Das könnte sich bis zum 1. März hinziehen, gerade noch zwei Wochen vor dem entscheidenden EU-Gipfel, wo die nächste Phase der Verhandlungen beschlossen werden soll. Jedenfalls hat Theresa May sich zur Meisterin des Spannungsbogens entwickelt, ganz im Stil von Alfred Hitchcock in seinen klassischen Krimis.