Brutal und düster: "Wolhynien"
7. Oktober 2016Zofia, eine junge Frau, lebt mit ihrem kleinen Sohn im Jahre 1939 im Osten Europas. Eine idyllische, leicht hügelige Landschaft. Maisfelder, in denen man sich gut verstecken kann. Holzkirchen und Bauernhäuser. Das Grunzen der Schweine im Koben; die Liebe zwischen Mann und Frau unter der Daunendecke. So beginnt der neueste Film des Regisseurs Wojciech Smarzowski, der an diesem Wochenende in Polen in die Kinos kommt. Er heißt so, wie die Region, in der er spielt: "Wolhynien", auf Polnisch "Wołyń". Vor dem Zweiten Weltkrieg war Wolhynien polnisch, dann deutsch und sowjetisch besetzt, heute ist es Teil der Ukraine.
Grausame Jahre: Besatzung, Deportationen, Massaker
Die Idylle des Sommers 1939 währt nicht lange. Das Dorf erlebt erst den Einmarsch der Sowjets. 1941 kommt die Wehrmacht. Eher beiläufig bekommen wir gezeigt, wie unter der ersten Besatzung viele Polen deportiert und später die Juden erschossen werden.
Zofia (großartig gespielt von der Debütantin Michalina Łabacz) ist Polin. Sie bleibt zunächst in ihrer Heimat, wie die meisten in diesen Dörfern. Man versucht sich zu arrangieren. Aber die Spirale von Hass und Gewalt dreht sich weiter. 1943 sehen ukrainische Nationalisten, dass der Abzug der Wehrmacht näherrückt, und so machen sie sich daran, ihre polnischen Nachbarn zu vertreiben - oder gleich zu ermorden, zu verbrennen, mit Äxten zu töten. Das wird im Film sehr drastisch gezeigt. So ist es auch gewesen: Die Zahl der polnischen Opfer der Massaker in Wolhynien und später auch in Galizien wird auf etwa 100.000 geschätzt. Spätere Racheakte polnischer Partisanen kosteten auch bis zu 15.000 Ukrainer das Leben.
"Internationale Komplikationen" durch "Wolhynien" befürchtet
Lange hat Polen auf diesen Tag gewartet, auf den ersten Film, der das Wolhynien-Massaker darstellt. Regisseur Smarzowski hat vier Jahre lang daran gearbeitet. Er ist ein Meister düsterer Filme; so hatte er 2011 in dem preisgekrönten Werk "Róża" Schicksale im Masuren der Nachkriegszeit behandelt, auch damals besonders das Leiden der Frauen thematisiert. Jetzt also ist "Wolhynien" fertig. Nach einer geschlossenen Vorführung in Warschau sagten ranghohe Politikexperten voraus, dieser Film könne zu "internationalen Komplikationen" führen: Er könne in der Ukraine einen Aufschrei der Empörung auslösen und in Russland propagandistisch ausgeschlachtet werden.
Der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, scheint das geahnt zu haben. Bei seinem letzten Besuch in Polen im Juli besuchte er das neue Wolhynien-Mahnmal in Warschau; es zeigt ein von Axtschlägen gezeichnetes Kreuz, daran ein Christus ohne Arme. Poroschenko kam mit einem Kranz und einer Kerze, mehr noch: Er kniete nieder und verharrte still im Gebet. Nach der Geste Willy Brandts von 1970 also ein zweiter Kniefall in Warschau, diesmal des östlichen Nachbarn. Das Gewicht dieser Geste wurde dadurch verstärkt, dass das Staatsoberhaupt von drei Ministern begleitet wurde, dazu von Nadija Sawtschenko, der aus russischer Haft freigetauschten Kampfpilotin und Kriegsheldin aus dem Donbass. Jeder von ihnen brachte eine Kerze mit.
Völkerverständigung statt Propagandakrieg
Wie die Öffentlichkeit in der Ukraine auf den Film reagieren wird, steht in den Sternen. In ersten Berichten, etwa auf den Portalen "Ukrainska Prawda" und "Ukrinform", bekennen sich die Autoren zu gemischten Eindrücken: Es sei eine "polnische Wahrheit", die hier zu Wort komme, und der Film könne zu einer Belastung der Beziehungen werden. Außerdem würden die deutschen Soldaten, bei denen die Polin Zofia in ihrer Verzweiflung Zuflucht sucht, verharmlost und "fast wie UN-Blauhelme gezeigt".
Ein Filmverleih in der Ukraine, berichtet der Produzent, habe anfangs Interesse an "Wolhynien" gezeigt, sei dann aber ausgestiegen. Dagegen hätten russische Medien am liebsten schon über die Dreharbeiten berichtet. Da zugleich jedoch der russische Propagandakrieg gegen die Ukraine begonnen habe, so der Produzent, "haben wir diese Interessenten konsequent auf Distanz gehalten". Man sei jedoch bereit, den Film kommerziell in Russland in die Kinos zu bringen, wie in jedem anderen Land. Als dann der Chef des öffentlichen Fernsehens in Polen dem Film einen Preis verlieh, machte der Regisseur ein weiteres Mal klar, dass er sich nicht vereinnahmen lasse. Das Preisgeld stiftete er für Zwecke der Völkerverständigung.
Keine nationalistische Schwarz-Weiß-Malerei
Insgesamt taugt der Film wohl kaum zur politischen Vereinnahmung durch irgendeine Seite. Die alte Verachtung der Polen für die Ukrainer kommt zur Sprache. Aus Moskauer Sicht wird der sowjetische Einmarsch in Wolhynien 1939 zu negativ dargestellt. Für ukrainische Betrachter freilich ist schmerzhaft zu sehen, wie Gewalttäter "im Namen der Ukraine" Verbrechen begehen.
Ist es nun ein künstlerisch guter Film? Das Medienecho in Polen ist überwältigend, die Bewertungen fast einhellig positiv. "Wołyń" hinterlässt einen starken Eindruck, gerade im sorgfältig dosierten Crescendo des Schreckens. Auch das Bemühen, nationalistische Schwarz-Weiß-Malerei zu vermeiden, ist deutlich spürbar. Regisseur Smarzowski hofft, dass sein Werk Brücken baut, wenn nicht heute, dann irgendwann in der Zukunft. Seine Botschaft laute: "Die Wildheit kommt nicht aus dem Osten. Sie kommt aus dem Menschen."