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Längst noch nicht vergangen

16. Januar 2011

Das Interesse am Ministerium für Staatssicherheit ist ungebrochen. 88.000 Anträge auf Akteneinsicht wurden 2010 gestellt - seit 1991 sind es insgesamt 2,8 Millionen. Eine neue Stasi-Ausstellung zeigt, warum das so ist.

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Bundespräsident Christian Wulff (Foto: dapd)
Wulff warnt er vor einer Verharmlosung der DDRBild: dapd

Bundespräsident Christian Wulff eröffnete am Samstagvormittag (15.01.2011) in Berlin die neue Ausstellung. Dabei warnte er vor einer Verharmlosung der DDR. Es erschrecke ihn, "wie verklärend viele heute rückblickend auf die DDR schauen und die Menschenrechtsverletzungen, die Unfreiheit einfach ausblenden". Auch viele Täter verharmlosten heute die Folgen ihres Handelns.

Der Termin der Ausstellungseröffnung war alles andere als zufällig, denn auf den Tag genau vor 21 Jahren, am 15. Januar 1990, haben Bürgerrechtler die Geheimdienst-Zentrale in Ost-Berlin besetzt und damit einen Großteil der Akten gerettet, an deren Vernichtung sich Stasi-Mitarbeiter bereits gemacht hatten.

Gegen den Willen zahlreicher westdeutscher Politiker wurde der Stasi-Nachlass im Zuge der deutschen Vereinigung geöffnet. Auf diese Weise können Opfer des DDR-Geheimdienstes erfahren, wer sie wann und warum ausspioniert hat. In der neuen Dauer-Ausstellung über die Geschichte und das Wirken der Stasi stehen sechs Einzelschicksale im Mittelpunkt.

Gefängnisstrafe wegen "Staatsverleumdung"

Stasi-Opfer Gabriele Stötzer in der von ihr gegründeten privaten 'Galerie im Flur' in Erfurt 1981 (Foto: BStU)
Stasi-Opfer Gabriele Stötzer (2. v. l.) in der von ihr gegründeten privaten "Galerie im Flur" in ErfurtBild: BStU

Wer sich, wie die Studentin Gabriele Stötzer, für kritische Kommilitonen oder gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann engagierte, landete wegen "Staatverleumdung" schnell im Gefängnis. Auch nach ihrer Haftzeit blieb die aus der Nähe von Gotha in Thüringen stammende Künstlerin im Visier der Stasi. Misstrauisch beobachteten die Spitzel das Geschehen in der von ihr gegründeten privaten "Galerie im Flur" in Erfurt.

Burkhart Herzel geriet 1969 ins Visier der Stasi, weil er die "Rolling Stones" hören wollte. In der DDR hatte sich das Gerücht verbreitet, die britische Rockband würde in West-Berlin auftreten, und zwar direkt an der Mauer. Hunderte DDR-Jugendliche, darunter der 18-jährige Herzel, hofften auf ein Gratis-Konzert. Die Stasi war alarmiert. Der junge Mann aus einem kleinen Dorf in Brandenburg büßte seine Musik-Leidenschaft mit sechs Wochen Haft. Begründung: Er sei ein "Störenfried".

Wegen angeblicher Flucht-Pläne und Arbeitsverweigerung wurde Herzel noch zwei Mal zu insgesamt knapp vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, bevor er Mitte der 1970er-Jahre in den Westen ausreisen durfte. Die Sache mit dem Rolling-Stones-Konzert war übrigens wirklich nur ein Gerücht.

Mit Wasserdampf geöffnete Briefe, die kopiert und anschließend wieder verschlossen wurden (Foto: BStU)
Mit Wasserdampf von der Stasi geöffnete Briefe; täglich wurden Tausende kopiert und "ausgewertet".Bild: BStU

Für Marianne Birthler, die Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde, sind die geschilderten Einzel-Schicksale das Herzstück der Ausstellung, "weil sie die Menschen emotional berühren". Auf diese Weise werde an Menschen erinnert, "die einen hohen Preis dafür bezahlt haben, dass sie die Freiheit wollten", sagt Birthler.

Die im Frühjahr 2011 nach zehn Jahren aus dem Amt scheidende Behörden-Chefin hofft, mit der Ausstellung ein breites Publikum erreichen zu können. Dabei denkt sie auch und gerade an Menschen, die glauben, ihr Leben in der DDR habe nichts mit der Stasi zu tun gehabt. In Wirklichkeit war die Stasi überall gewesen - in den sogenannten volkseigenen Betrieben (VEB), im Sport, in der Kultur, in den Betrieben, in der Kirche, in der Nationalen Volksarmee. Es gab keinen weißen Fleck.

Rund 2000 Spitzel im Fußball-Stadion

Neben exemplarischen Opfer-Schicksalen werden Struktur, Geschichte und Methoden des DDR-Geheimdienstes dargestellt. Dazu zählen Lebensläufe von Stasi-Größen, wie dem des 32 Jahre amtierenden Stasi-Chefs Erich Mielke ebenso wie Observierungsfilme.

Gleichermaßen aufschlussreich wie grotesk mutet eine in der Ausstellung gezeigte Skizze vom Fußball-Stadion in Dresden an. Im Dezember 1974 spielte die einheimische "Dynamo"-Mannschaft im europäischen Pokal-Wettbewerb gegen den westdeutschen "Hamburger SV". Unter den 28.000 Zuschauern waren exakt 1936 Stasi-Aufpasser. Das Duell endete 2:2 - der Klassenfeind kam eine Runde weiter, weil "Dynamo" das Hinspiel 1:4 verloren hatte.

Die Ausstellung ist klein, aber fein

DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker ehrt 1985 das von Erich Mielke geleitete Ministerium für Staatssicherheit mit dem Ehrenbanner des Zentralkomitees der SED (Foto: Bundesarchiv)
DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker (r.) ehrt 1985 das von Erich Mielke geleitete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit dem Ehrenbanner des Zentralkomitees der SED.Bild: BStU

Vergleichsweise wenige 260 Quadratmeter stehen für die Ausstellung zur Verfügung. Das Konzept ist jedoch weniger der Raumnot geschuldet, als dem Wunsch nach einer konzentrierten Darstellung des Stasi-Phänomens, sagt die Leiterin des Ausstellungsteams, Gabriele Camphausen. Man habe sich bemüht, die Informationsmenge so zu reduzieren, dass sie auch für Besucher sinnvoll sei, die sich mit der Thematik noch gar nicht auskennen, erläutert Camphausen. "Und wir haben uns um eine schöne Sprache bemüht, was nicht einfach ist bei einem so unschönen Thema."

Porträtbild von Marianne Birthler (Foto: dpa)
Marianne BirthlerBild: picture alliance/dpa

So auf den Punkt gebracht wie die Ausstellung ist auch ihr Name: "Stasi". Lange habe man überlegt, wie die Ausstellung zur DDR-Staatssicherheit heißen solle, erzählt Marianne Birthler. Mit dem Ergebnis seien alle Beteiligten sehr zufrieden, denn "Stasi" sei mittlerweile weltweit der Inbegriff für Geheimpolizei geworden, begründet Birthler die Entscheidung.

Da die Ausstellung in zentraler Lage in Berlin-Mitte zu sehen ist, hofft die frühere DDR-Bürgerrechtlerin nicht nur auf einheimische Besucher, sondern auch auf viele Touristen aus dem In- und Ausland. Ihre Hoffnung könnte in Erfüllung gehen. Unmittelbar neben dem Ausstellungsgebäude in der Zimmerstraße befindet sich der berühmte ehemalige deutsch-deutsche Grenzübergang "Checkpoint Charlie", und nur 200 Meter entfernt stehen noch originale Reste der Berliner Mauer.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Kay-Alexander Scholz

"Stasi. Die Ausstellung zur DDR-Staatssicherheit"
Bildungszentrum der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) Berlin
Zimmerstraße 90/91
Öffnungszeiten: montags bis samstags, 10 bis 18 Uhr
Katalog 12 Euro