Bundesverfassungsgericht billigt Pflege-Impfpflicht
19. Mai 2022Das Bundesverfassungsgericht hat die einrichtungsbezogene Pflicht zur Impfung gegen das Coronavirus bestätigt. Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe verwarfen eine Verfassungsbeschwerde gegen entsprechende Teile des Infektionsschutzgesetzes. Der Schutz sogenannter vulnerabler Gruppen wiege verfassungsrechtlich schwerer als die Beeinträchtigung der Grundrechte für das Pflege- und Gesundheitspersonal, argumentierten sie.
Zwar liege ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vor, räumte das Gericht ein. Alternativ bleibe nur, den Beruf nicht mehr auszuüben oder den Arbeitsplatz zu wechseln. Doch die Abwägung des Gesetzgebers, "dem Schutz vulnerabler Menschen den Vorrang vor einer in jeder Hinsicht freien Impfentscheidung" zu geben, sei nicht zu beanstanden. Auch die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie mit der Omikron-Variante begründe keine abweichende Beurteilung.
Eil-Entscheid bereits im Februar
In Karlsruhe geklagt hatten überwiegend ungeimpfte Beschäftigte sowie Leiter von Einrichtungen, die weiter ungeimpftes Personal beschäftigen wollen. Im Eilverfahren hatten die Richterinnen und Richter es im Februar abgelehnt, die Vorschriften vorläufig außer Kraft zu setzen. Die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht konnte somit wie geplant Mitte März umgesetzt werden. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied bereits damals: "Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung steht die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber." Die Impfpflicht begegne "zum Zeitpunkt dieser Entscheidung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken", hieß es. Es stand aber noch eine umfassende Prüfung der Verfassungsbeschwerden aus, die nun erfolgt ist.
Kritisch merkten die Richter in Karlsruhe schon damals an, dass im Gesetz nichts Genaueres zum Impf- und Genesenennachweis stehe. Es werde bloß auf eine Verordnung mit weiteren Verweisen auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verwiesen. Da das Gesetz aber während des Beschwerdeverfahrens geändert wurde und ein neuer Paragraf zur Definition des Impf- und Genesenennachweises eingeführt wurde, äußerte sich das Gericht aktuell nicht mehr zur Frage des Verweises auf Homepages von einschlägigen Institutionen.
Warum diese Art von Impfpflicht?
Die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht soll alte und geschwächte Menschen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen. Sie haben ein besonders hohes Risiko, sehr schwer zu erkranken oder daran zu sterben. Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken, aber zum Beispiel auch in Arztpraxen und bei ambulanten Diensten, Hebammen, Masseure und Physiotherapeuten mussten bis zum 15. März nachweisen, dass sie voll geimpft oder kürzlich genesen sind. Neue Beschäftigte brauchten den Nachweis ab dem 16. März.
Fehlt er, muss die Einrichtung das Gesundheitsamt informieren. Es kann den Betroffenen verbieten, ihre Arbeitsstätte zu betreten oder ihre Tätigkeit weiter auszuüben. Für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, gilt eine Ausnahme. Allerdings hakt es bisher bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.
Neuer Anlauf für Impfpflicht?
Erst am Montag hatten Baden-Württemberg, Bayern und Hessen bei einer digitalen Gesundheitsministerkonferenz dazu aufgerufen, angesichts einer drohenden Corona-Welle im Herbst einen Neuanlauf im Bundestag für eine Impfpflicht ab 60 Jahren zu wagen. So könnten eine Überlastung des Gesundheitssystems und damit auch Einschränkungen für die Gesamtbevölkerung vermieden werden. Ende Juni sollen die Gesundheitsminister erneut darüber beraten und einen Beschluss fassen.
Ein fraktionsübergreifender Entwurf für eine allgemeine Impfpflicht zunächst ab 60 Jahren war Anfang April im Bundestag klar gescheitert. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte daraufhin deutlich gemacht, dass er keine Basis für einen erneuten Anlauf sehe.
kle/se (dpa, afp, rtr)