Bürgerkrieg in Syrien: Machtkampf und Vertreibung
7. Dezember 2024Die Frontlinien im syrischen Bürgerkrieg haben sich dramatisch verändert. Regierungsfeindliche Kämpfer rücken auf die Hauptstadt Damaskus vor. Die Anti-Assad Kämpfer haben am Samstag die Stadt Homs erreicht. Hassan Abdel Ghani, ein Militärchef der Islamisten, sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Wir sind jetzt weniger als 20 Kilometer vom südlichen Zugang der Hauptstadt Damaskus entfernt."
Das syrische Militär hat sich nach Berichten der syrischen Staatsagentur Sana aus den Städten Daraa und Suweida zurückgezogen. Die Regierungstruppen würden sich neu positionieren, nachdem "terroristische Elemente" Kontrollpunkte der Armee angegriffen hätten.
Kann Katar vermitteln?
Daraa hat große symbolische Bedeutung: Die Stadt war Ausgangspunkt des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad, der 2011 den Bürgerkrieg in Syrien auslöste.
Unterdessen versucht Katars Premier Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al Thani laut Berichten der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Agency zu vermitteln. Al Thani habe über die jüngsten Entwicklungen in Syrien telefonisch mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan, dem iranischen Außenminister Abbas Araghchi und dem jordanischen Außenminister Ayman Safadi gesprochen.
Am Sonntag treffen sich zudem Vertreter der Arabischen Liga, um eine Dringlichkeitssitzung der Außenminister der Liga zur Lage in Syrien und im Gazastreifen vorzubereiten.
Immer mehr Binnenvertriebene
Nach UN-Schätzung könnten 200.000 bis 400.000 Syrer zu Binnenvertriebenen werden, wenn die Feindseligkeiten nicht aufhören. Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs sind rund sieben Millionen Menschen aus Syrien geflohen.
"Von Aleppo über Idlib bis nach Hama berichten unsere Partner, dass die zunehmenden Feindseligkeiten die Zivilbevölkerung gefährden, die Binnenvertreibung vorantreiben, die Kontinuität lebenswichtiger Dienstleistungen unterbrechen und die Lieferung lebensrettender humanitärer Hilfe behindern", erklärte der Dänische Flüchtlingsrat in einer Erklärung.
Sollten die Kämpfe eskalieren, sind laut UN eine humanitäre Krise und eine verstärkte Migration um das Land herum und aus dem Land heraus ebenfalls wahrscheinlich. Es ist auch möglich, dass Anhänger des Assad-Regimes und Soldaten versuchen würden, Syrien zu verlassen.
Islamischer Staat weiterhin aktiv
Während des syrischen Bürgerkriegs erlangten Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats (IS) die Kontrolle über die Stadt Raqqa. Die IS-Gruppe wurde schließlich von einer internationalen Koalition unter Führung der USA vertrieben.
Der IS ist aber weiterhin in Syrien aktiv, vor allem in den weniger besiedelten Wüstengebieten. Er führt weiterhin Angriffe auf alle Kräfte durch, die er als seine Feinde ansieht - auch auf die Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die größte Gruppe der Aufständischen. Im Jahr 2024 hat die Zahl der IS-Angriffe in Syrien drastisch zugenommen, wie das Zentralkommando der US-Streitkräfte kürzlich mitteilte.
Deyaa Alrwishdi, Stipendiatin an der Harvard Law School und Expertin für Kriegsrecht, wies diese Woche in dem Online-Forum für Außenpolitik Just Security darauf hin: "Anhaltende Instabilität und schwache Regierungsführung sind die Hauptfaktoren, die das Wiedererstarken von Extremisten fördern. In der Vergangenheit hat der 'Islamische Staat' die zersplitterte politische Landschaft Syriens und das Machtvakuum vor allem in marginalisierten Gebieten ausgenutzt."
"Umdenken in arabischen Hauptstädten"
Nach mehr als einem Jahrzehnt des brutalen Bürgerkriegs in Syrien hatten viele Länder - darunter auch europäische Nationen - ihre Außenpolitik mehr oder weniger auf ehemals "eingefrorenen" Frontlinien aufgebaut. Einige Länder in der Region, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, hatten die Rebellen in Syrien ursprünglich unterstützt und Assad ausgegrenzt. In letzter Zeit haben sie sich jedoch bemüht, die Beziehungen zu ihm zu normalisieren.
"Die Hauptstädte der Golfstaaten sind zu dem Schluss gekommen, dass das Regime mit der Unterstützung des Irans und Russlands die Opposition wahrscheinlich auslöschen würde", schrieb Cinzia Bianco in einer Analyse für die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2022. Als Ergebnis dieser Entwicklung wurde Syrien im Mai 2023 wieder in die Arabische Liga aufgenommen. Der einzige Golfstaat, der eine Normalisierung der Beziehungen zu Assad noch immer strikt ablehnt, ist Katar.
Doch nun habe sich die Lage geändert, schreibt Charles Lister, der Herausgeber des Newsletters Syria Weekly: "Der dramatische Zusammenbruch des Regimes im Nordwesten in den letzten Tagen dürfte in den arabischen Hauptstädten ein Umdenken auslösen.".
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert und aktualisiert (Stand 7.12.2024).