Christian Wulffs letzte Hoffnung?
12. April 2013Ein ehemaliges deutsches Staatsoberhaupt wird gut ein Jahr nach seinem Rücktritt wegen des Verdachts der Bestechlichkeit angeklagt. Die Versuchung liegt nahe, den Fall als symptomatisch für die angeblich verkommene politische Klasse in Europa zu betrachten. Doch davor sollte man sich hüten, zumindest beim Blick auf Deutschland. Denn der Fall Wulff ist unabhängig von seinem Ausgang nicht einmal ansatzweise mit den fragwürdigen Zuständen in Italien oder dem aktuellen Skandal in Frankreich zu vergleichen.
In dem einen Staat regierte lange ein mehrfach vorbestrafter und milliardenschwerer Unternehmer namens Silvio Berlusconi. In dem anderen, Frankreich, musste vor kurzem Haushaltsminister Jérôme Cahuzac wegen Schwarzgeldkonten im Ausland zurücktreten. Sein Schuldeingeständnis hat Frankreichs Präsident François Hollande und die Regierung in eine schwere Krise gestürzt. Von solchen Dimensionen ist Deutschland meilenweit entfernt.
Es geht um 700 Euro
Die Staatsanwaltschaft Hannover wirft Ex-Bundespräsident Wulff vor, er habe sich und seiner Familie 2008 von einem befreundeten Filmunternehmer einen Besuch des weltberühmten Oktoberfestes in München bezahlen lassen. Damals war Wulff Regierungschef des Bundeslandes Niedersachsen. In dieser Eigenschaft soll er sich laut Anklage nach dem fremdfinanzierten Aufenthalt in München beim Siemens-Konzern schriftlich um Unterstützung eines Film-Projekts seines Freundes eingesetzt haben.
Weil aus Sicht der Staatsanwaltschaft ein direkter Zusammenhang zwischen dem Oktoberfest-Besuch und Wulffs Engagement für den Filmunternehmer besteht, ist er nun wegen Bestechlichkeit angeklagt worden. Die Summe, um die es geht, beläuft sich auf gut 700 Euro. Ob sich ein gut bezahlter Politiker dafür bestechen lässt, darf durchaus infrage gestellt werden. Zweifel schien auch die Staatsanwaltschaft gehabt zu haben. Sonst hätte sie Wulff wohl kaum das Angebot gemacht, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe einzustellen. Doch darauf hat sich Wulff nicht eingelassen, obwohl er dann im juristischen Sinne nicht als vorbestraft gegolten hätte. Das Angebot, das Verfahren gegen Zahlung von 20.000 Euro einzustellen, lehnten Wulffs Anwälte ab, denn es hätte so in der Öffentlichkeit doch als Schuldeingeständnis gewertet werden können.
Wulff setzt auf volle Rehabilitierung
Die Gefahr, rechtskräftig verurteilt zu werden, schwebt nun weiter über dem Anfang 2012 zurückgetretenen Bundespräsidenten. Wulff geht dieses Risiko ein, weil er nicht mit dem Makel behaftet sein will, einen durchaus umstrittenen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingegangen zu sein. Der 53-Jährige hatte also keine andere Wahl, um sich die Möglichkeit einer uneingeschränkte Rehabilitierung zu erhalten. Das wäre rechtlich gesehen der Fall, wenn er von dem Vorwurf der Bestechlichkeit freigesprochen werden sollte.
Wenn Wulff Glück hat, wird das Verfahren erst gar nicht eröffnet. Über die Zulassung der Anklage entscheidet das Landgericht Hannover. Es wird sorgsam abwägen müssen, wie überzeugend die Argumentation der Staatsanwaltschaft ist. Zahlreiche andere Vorwürfe gegen Wulff, die Auslöser für seinen Rücktritt waren, haben sich inzwischen als haltlos erwiesen. Das ehemalige Staatsoberhaupt hat also Anlass, auf ein gutes Ende für sich zu hoffen. Es wäre trotzdem nur ein schwacher Trost für den seinerzeit jüngsten Bundespräsidenten in der deutschen Geschichte. Dem Verlust des höchsten Staatsamtes folgte ein paar Monate später die Trennung von seiner Frau.
Der Mensch Christian Wulff hat in der ganzen Affäre einen hohen politischen und persönlichen Preis zahlen müssen. Ganz schuldlos war er daran keineswegs, weil er auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe oft ungeschickt und mitunter wenig glaubwürdig reagierte. Bilanzierend bleibt festzuhalten, dass die erste Anklage eines früheren Staatsoberhauptes keinen bleibenden Schatten auf die politische Kultur in Deutschland wirft. Im Gegenteil: Sie ist ein Beleg für das Funktionieren der Gewaltenteilung in einem demokratischen Staat. Abgesehen davon erscheint die Substanz der vermeintlichen Vergehen Wulffs fast schon wie eine Petitesse.
Aber davon darf sich eine unabhängige Justiz natürlich nicht beeindrucken lassen. Deshalb ist es gut, wenn die Staatsanwaltschaft zu ihrer Anklage steht. Genauso gut ist es, dass der gefallene Bundespräsident die Chance nutzt, seine Glaubwürdigkeit in einem fairen Prozess wiederherzustellen. Und sollte es tatsächlich kein Verfahren geben, wäre das eine Art Freispruch erster Klasse für Christian Wulff.