Corona-Pandemie im Museum
28. Dezember 2020In Wien ging der März-Lockdown einige Tage früher los als in Deutschland. Ein Museum nach dem anderen machte zu, Schulen und Geschäfte folgten. Matti Bunzl, Direktor des Wien Museums, hatte schnell begriffen, dass es sich um einen historischen Augenblick handelte, der auch in die Geschichte seines Stadtmuseums eingehen müsse. Er rief die Wiener dazu auf, Objekte, Fotos, Filme einzuschicken, um den neuen Corona-Alltag für die Nachwelt zu dokumentieren. "Die großteils ephemeren Objekte, die die Krise auch für kommende Generationen nachvollziehbar machen, wären ohne diese Intervention verloren gegangen", erklärt Bunzl auf DW-Anfrage. Vor allem wolle er den Wandel im "tagtäglichen Leben sammlerisch begleiten". Schließlich existierten von keiner vorhergehenden Pandemie vergleichbare Dokumente.
Wenig Alltagszeugnisse von Pest oder Cholera
"Wie gerne hätten wir analoge Zeugnisse über die Pest- oder Cholera-Epidemien. Diese sind unwiederbringlich verloren. Nicht so die Objekte, die unser Leben während Corona begleiteten". Am 25. März 2020 veröffentlichte Bunzl einen Aufruf, "Objekte aus dem Alltag in Zeiten von Corona" dem Wien Museum zu schicken. Seitdem sind mehr als 3000 Objekte eingereicht worden; 235 werden auf der Website des Museums präsentiert. Darunter Aushänge der Polizeidirektion Wien, Polizei-Mahnungen für Bürgerinnen und Bürger, Passierscheine für Krankenhäuser, selbstgebastelte und gewerblich produzierte Mund-Nasen-Schutzmasken und Spezial-Türöffner aus dem 3D-Drucker, die das kontaktlose Öffnen von Türen ermöglichen. Einige dieser Objekte des neuen Lockdown-Lebens sind schon in der Dauerausstellung des Wien Museum zu sehen.
Auch das Kölner Stadtmuseum möchte die Ausnahmesituation für die Nachwelt sichern. Alles, was in der Pandemie neu und anders ist, sollten die Bürger dokumentieren. Es kamen, so Stefan Lewejohann, der sich um das Corona-Gedächtnis des Stadtmuseums Köln kümmert, mehr als 40 historisch relevante Objekte zusammen. In Geschenkpapier verpacktes Toilettenpapier etwa erzählt von der Angst der Menschen, Grundbedürfnisse nicht mehr stillen zu können. Ein Beerdigungsfoto zeigt nur zwei trauernde Menschen am Grab, weil mehr aus Hygieneschutzgründen nicht zugelassen waren. Auch selbstgebastelte Briefkästen wurden archiviert. Mit ihnen kommunizierten Schulkinder miteinander, die sich während der monatelangen Schulschließungen physisch nicht mehr treffen durften. Stefan Lewejohann sieht es als besondere Herausforderung an, die Gegenwart zu archivieren, eine Bestandsaufnahme zu machen - und zwar in der Zeit, in der die Pandemie noch grassiert.
Pandemie: ein "fundamentales medizinhistorisches Ereignis"
Auch in der Sammlung des Kölner Stadtmuseums befinden sich nur wenige Dokumente, die von den Zeiten früherer Seuchen wie der Pest oder der Cholera erzählen. Die Corona-Pandemie wird nicht in Vergessenheit geraten. Dafür sorgen deutschlandweit zahlreiche Ausstellungshäuser. Stadtmuseen, medizinhistorische Museen, historische Museen - sie alle folgten im Frühjahr dem Wiener Vorbild und fingen an, Zeugnisse für das Corona-Gedächtnis zu sammeln.
Auch den Historikern und Historikerinnen im Haus der Geschichte in Bonn war schnell klar, dass diese Pandemie "ein fundamentales medizinhistorisches Ereignis ist, das Deutschland und die ganze Welt in verschiedenen Aspekten prägen wird", wie es ein Mitarbeiter des Hauses formuliert. Dessen Sammlung beruht auf drei Säulen mit Sammlungsschwerpunkten: "Corona und Alltag", "Corona und Wirtschaft", "Corona und Tod". Die Sammlung im Haus der Geschichte kommt derzeit auf circa 600 Objekte.
Narrenkappen, Fußbälle, Weihwasser
Darunter befindet sich auch die Narrenkappe des Präsidenten der Karnevalsgesellschaft aus Gangelt. Auf einer Karnevalssitzung in dem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen soll eine Art Keimzelle in Deutschland gewesen sein, von der aus sich das Virus weiter verbreitet hat. Auch ein Fußball aus dem ersten Bundesliga-"Geisterspiel" zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach gilt für die Historiker als ein Zeitzeugnis, genauso wie Weihwasser in Frischetütchen für Gläubige, die in Kirchen verteilt wurden.
Solange die Pandemie noch andauert, werden die Objekte im Archiv gelagert. Es sei noch nicht der Zeitpunkt, "um über eine Ausstellung zu sprechen", heißt es aus dem Haus der Geschichte. Schließlich benötigt ein Museum eine historische Distanz, um die Ereignisse zu interpretieren und einzuordnen. Und nicht zuletzt befindet sich Deutschland derzeit in einem zweiten Lockdown, dessen Ende noch nicht absehbar ist.