Tawwakul Karman
7. Oktober 2011Eine emanzipierte Freiheitskämpferin stellen sich viele im Westen anders vor: Tawakkul Karman trägt Kopftuch und verhüllt ihren Körper mit einem langen schwarzen Gewand. Sie ist bekennende Muslima und Mitglied in der islamischen Oppositionspartei Islah. Und doch ist die Frau, die auf Fotos oft mit einem Megafon zu sehen ist, eine der energischsten und mutigsten Demokratie- und Menschenrechts-Streiterinnen im Jemen. Nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer zählen zu ihren Anhängern. Manche verehren sie sogar als "Mutter der Revolution".
"Nicht einschüchtern lassen"
Tatsächlich setzt sich die 32jährige seit mehreren Jahren gegen die Herrschaft von Präsident Ali Abdullah Saleh ein, der das bettelarme und notorisch von Stammesrivalitäten, Separatismus und Terrorismus bedrohte Land seit 32 Jahren regiert. Schon 2007 organisierte Karman wöchentliche Proteste vor Regierungsgebäuden in der Haupstadt Sanaa - mehr als einmal wurde sie dafür von den Sicherheitskräften verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. "Wir werden uns nicht einschüchtern lassen", erklärte sie dazu Anfang Oktober im Interview mit dem "Tagesspiegel". Da war der von vielen Demonstranten schon als erfolgreich vertrieben geglaubte Präsident Saleh gerade aus Saudi-Arabien zurückgekehrt. Karman würdigte dies mit feinem Sarkasmus als "Geschenk des Himmels": "So kann er uns nicht mehr entkommen. So können wir ihm und seinem Sohn den Prozess machen."
Dass eine Frau wie Karman sich an die Spitze der jemenitischen Demokratiebewegung vorkämpfen konnte, ist keineswegs selbstverständlich. Selbst im Vergleich zu den meisten anderen arabischen Staaten ist der Jemen ein überdurchschnittlich konservatives Land - Frauen werden dort unter Rückgriff auf die Tradition oder vermeintliche religiöse Vorschriften oft als Bürger zweiter Klasse behandelt. Zwangsverheiratungen minderjähriger Mädchen sorgen regelmäßig für Schlagzeilen. Als Bloggerin und Mitbegründerin der Organisation "Journalistinnen ohne Ketten" setzt sich Tawakkul Karman auch für die Belange ihrer Geschlechtsgenossinnen ein. So fordert sie seit langem, mindestens jede dritte öffentliche Arbeitsstelle in ihrem Land mit einer Frau zu besetzen.
Preis für die gesamte Freiheitsbewegung
In einer ersten Reaktion würdigte Karman ihre Auszeichnung als einen Preis für die gesamte arabische Freiheitsbewegung - und als Signal dafür, dass die Ära der autoritären Herrscher in der Region zu Ende gehe. Das Nobelpreis-Komitee würdigt mit der Preisvergabe aber auch ihre Rolle als Advokatin eines friedlichen Wandels: Karman und ihre Mitstreiter halten sich so gut wie möglich fern von den blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Truppen des Machthabers Saleh und seiner Rivalen aus abtrünnigen Stämmen. Doch von Gewalt ist auch die Mutter dreier Kinder bedroht. Regierungseinheiten schießen immer wieder von den Dächern der Haupstadt auf friedliche Demonstranten, Karman selbst hat zudem mehrfach persönliche Drohungen erhalten. Dennoch blickt sie optimistisch in die Zukunft. Und kritisiert auch den westlichen Blick auf ihr Land: "Es wird immer vor einem Bürgerkrieg im Jemen gewarnt", erklärte sie einmal gegenüber einer Schweizer Zeitung. "Aber Sie werden sehen: Der Jemen wird ein zivilisiertes, friedliches Land sein. Wir werden die Welt überraschen."
Autor: Rainer Sollich
Redaktion: Daniel Scheschkewitz / Jan-Philipp Scholz