Bulgarische Kandidatin in der Kritik
14. Januar 2010Die designierte Kommissarin für Humanitäre Hilfe steht quasi per definitionem unter Korruptions- und Mafiaverdacht - weil sie aus Bulgarien kommt. Nicht ganz zu Unrecht. Denn als EU-Nachzügler hat Bulgarien zwar die europäische Gesetzgebung im Parlament durchgewinkt, im Alltag aber nimmt man es mit dem Gesetz nicht so genau. So auch Rumjana Scheleva, die ihre Firmenbeteiligungen einfach verschwiegen hat. Mit anderen Worten: Bulgarien wurde noch unreif in die EU aufgenommen und Rumjana Scheleva verkörpert diese Unreife.
Linke und Rechte auf Ost-Partnersuche
Ihre Kandidatur ist das Ergebnis einer nicht besonders lobenswerten Tradition in der EU: Die Großparteien im EU-Parlament gucken erst in die Parteibücher der Kandidaten und dann auf ihr politisches und berufliches Profil. Hinzu kommt, dass sowohl die EU-Konservativen als auch die EU-Sozialisten dauernd auf Partnersuche in den neuen Mitgliedsländern unterwegs sind. Die Parteilandschaft in Mittel- und Osteuropa ist noch heftig in Bewegung. Immer wieder gründen sich neue und manchmal sehr erfolgreiche Parteien, die - im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament - von den Linken und Rechten in Straßburg und Brüssel umworben werden. Den heutigen bulgarischen Premier Bojko Borissov und seine Partei GERB haben sich zuerst die Unionsparteien in Deutschland und dann die Europäische Volkspartei als neuen Lieblingspartner in Bulgarien ausgesucht.
Beispiel für Defizite
Unter den Tisch gekehrt wurde dabei Borissovs ziemlich undurchsichtige Vergangenheit und die Tatsache, dass sein Parteikader vornehmlich aus den Kreisen der ehemaligen Kommunisten und Sicherheitsdienste kommt. Vor diesem Hintergrund ist die Nominierung von Frau Scheleva ein Paradebeispiel für das Demokratie- und Transparenzdefizit in der von den Nationalstaaten dominierten EU. Auch weil Scheleva - und das war abzusehen - nicht die professionelle Kompetenz und das politische Format für den schwierigen Job mitbringen kann. Ihre Tanzeinlagen in TV-Shows, ihre Ausrutscher auf dem diplomatischen Parkett von Sofia bis Washington und ihre manchmal recht unbeherrschten Auftritte waren keine besonders gute Empfehlung für den EU-Posten.
Neues Selbstvertrauen
Es gibt aber auch positive Aspekte im "Fall Scheleva": Während der Anhörung haben die EU-Abgeordneten die Bulgarin nicht nur wegen ihrer Interessenskonflikte, sondern auch wegen ihrer Inkompetenz und Oberflächlichkeit unter Druck gesetzt. Das neue Selbstvertrauen des EU-Parlaments nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags, die Bemühungen um mehr Demokratie und Transparenz und die Versuche, die EU-Bürger für die europäische Politik zu interessieren - all diese Entwicklungen kommen im Fall Scheleva zum Vorschein.
Ein Parlament im Wandel
Ob der designierte Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der bulgarische Premier Borissov dazu bewegt werden können, Scheleva auszutauschen, ist noch ungewiss. Fest steht aber: Das Parlament hat seine Stimme erhoben und dafür Beifall erhalten. Das bloße Abnicken der partei-politisch perfekt zusammengestellten EU-Kommissionen ist damit Vergangenheit - auch das zeigt der Fall Scheleva.
Und noch eine Erkenntnis kann man aus diesem Fall gewinnen: Europa-West und Europa-Ost ticken immer noch unterschiedlich. Obwohl sie formell unter einem Dach vereint sind, brauchen sie noch einige Zeit, um nicht nur politisch, sondern auch geistig als Bürgergesellschaften zusammen zu wachsen.
Autor: Alexander Andreev
Redaktion: Mirjana Dikic / Julia Kuckelkorn