Naturschönheit
Riesige Rotbuchen greifen in den Himmel. Ihre Stämme erscheinen wie die Säulen einer Kathedrale. Eine umgestürzte, vom Blitz zerfetzte Eiche, knorrig-bizarr geformt, stirbt langsam vor sich hin, während Moos und Zunderschwämme neues Leben aus ihr saugen. Es ist ein ständiges Werden und Vergehen. Ganz ohne Zutun des Menschen entsteht ein Urwald mitten in Deutschland - zwischen Eisenach, Mühlhausen und Bad Langensalza in Thüringen.
Größte zusammenhängende Laubwaldgebiet
Mit einer Gesamtfläche von 16.000 Hektar ist der Hainich das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet in Deutschland. Eine Teilfläche dieser einzigartigen Wälder soll nach dem Willen der Nationalparkverwaltung Weltnaturerbe werden. Weder große Straßen noch Eisenbahnschienen zerschneiden das Areal, das zu DDR-Zeiten selbst den meisten Thüringern kein Begriff war. Der Grund ist leicht zu erklären: Im Westen war es Grenzgebiet zu Hessen, im Süden befanden sich zwei abgeschirmte Truppenübungsplätze. Einer davon bestand bereits seit 1935.
Germaniens Wälder
Wo nicht Panzerketten die Vegetation zermalmten oder Bäume für Schießbahnen geopfert wurden, war der bereits zuvor recht naturnah genutzte Wald sich selbst überlassen. Vor allem im Süden konnten sich Buchenwälder entwickeln, die vermutlich denen sehr nahe kommen, die schon den Römern Angst einjagten, als sie zum ersten Mal den Boden Germaniens betraten. Wenn der sonnengewohnte Plinius schrieb: "Wälder bedecken das ganze Germanien und verbinden die Kälte mit dem Dunkel", dann hatte er möglicherweise ähnliche Wälder wie im Hainich vor Augen.
Rasante Entwicklung
Anderswo sind diese Buchenwälder, die Mitteleuropa prägten, längst verschwunden. Durch den Eingriff des Menschen wurden sie abgelöst von den überall anzutreffenden Monokulturen, zumeist eintönigen Fichtenwäldern für die Holzverarbeitung. Nachdem die Truppenübungsplätze von den militärischen Altlasten befreit worden waren, konnte sich der ursprüngliche Wald im Hainich erst recht so entwickeln, als gäbe es die Menschheit überhaupt nicht. Vor zehn Jahren wurde der Nationalpark Hainich gegründet. Seine Fläche beträgt 7500 Hektar, rund 90 Prozent davon sind völlig ungenutzt.
Blick vom Baumkronenpfad in die Wipfel
Anziehungspunkt für Touristen ist ein Baumkronenpfad, der sich auf einer Länge von 308 Metern durch die Urwaldbaumkronen schlängelt, und ein 44 Meter hoher Turm, von dem man bei guter Sicht einen Ausblick über den gesamten Hainich und das Thüringer Becken hat. Vor allem der Reichtum an verschiedenen Baumarten unterscheidet den Hainich deutlich von anderen Wäldern. Von den bisher nachgewiesenen 1550 Pilzarten sind mehr als 200 auf der deutschen Roten Liste.
Rundwanderwege für alle
Bisher wurden 15 Rundwanderwege geschaffen, die auch Radfahrer und Reiter nutzen dürfen. Besondere Erlebnispfade wie der Silberborn oder der Feensteig laden ein; der Erlebnispfad Brunstal ist barrierefrei und speziell für Menschen mit Behinderungen konzipiert; alle Texte sind auch in Brailleschrift für Sehbehinderte und Blinde verfasst.
Besonders zu empfehlen ist ein Besuch im Frühjahr, wenn das Sonnenlicht noch durch die unbelaubten Äste auf den Boden fällt, und Leberblümchen, Buschwindröschen, Veilchen, Lungenkraut und Primeln blühen. Beeindruckend ist der verwunschene Zauberwald aber auch in seiner herbstlichen Farbenpracht. (AP)