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Der Weihnachtsfriede in Flandern 1914

23. Dezember 2014

Was kann Menschen verbinden, auch wenn sie aus ganz verschiedenen Ländern kommen? Weihnachten kann stärker sein als der Krieg. Renate Kirsch erzählt von einem kurzen Friedenswunder, an Weihnachten vor hundert Jahren.

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Der Erste Weltkrieg Austellung
Bild: Renate Kirsch

Keine vierzehn Tage mehr, dann ist das Jahr vergangen. Die vielen Erinnerungsreden, Feiern und Ausstellungen zu dem „makabren“ Jubiläum „Hundert Jahre Erster Weltkrieg“ werden verblassen und neuem Gedenken Platz machen. Im Mai 2015 werden wir an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert und möchten bitten und hoffen, dass aus den heutigen Konflikten weltweit keine noch größeren Kriege entstehen. Frieden ist nötig, Frieden ist möglich. Nur ein Traum? Nein. Und darum möchte ich doch noch einmal an 1914 erinnern. An das Weihnachtsfest vor hundert Jahren.

An der langen Westfront, die von der Nordsee in Belgien bis zur Schweiz reichte, hatten sich in einem grausamen Stellungskrieg deutsche Soldaten auf der einen Seite und Belgier, Franzosen und vor allem Engländer auf der anderen Seite eingegraben. Weihnachten würde der Krieg zu Ende sein, hatte man den zunächst begeisterten jungen Männern auf beiden Seiten versprochen. Das hatten wohl die meisten geglaubt, gehofft und erwartet. Kam aber anders. Krieg und das Töten gingen weiter, Tausende waren schon gefallen. Umso unglaublicher, was sich damals, am 24. Dezember 1914 zugetragen hat. Es ist bis heute aus englischen, französischen und deutschen Briefen und vielen Augenzeugenberichten zu erfahren und vielfach dokumentiert.

Stellungskrieg. Das bedeutet, in Schützengräben, im Stacheldrahtverhau, liegen sich bis zu neun Meter tief in Lehm und Schlamm eingegrabene feindliche Soldaten gegenüber. Manchmal belauern sie sich nur 200 Meter voreinander entfernt. In Flandern vorwiegend deutsche und englische Soldaten.

24. Dezember 1914. Seit gestern beginnt das Wasser in den Gräben zu gefrieren. Die erschossenen Engländer und Deutschen, seit Wochen unerreichbar zwischen den feindlichen Linien im Niemandsland, versinken nun nicht mehr im Schlamm. Raureif bedeckt sie auf eisigem Feld. Am Abend, als es dunkel wird, hat sich der Wind gelegt. Da tauchen erste brennende Kerzen in Ypern oben auf dem deutschen Schützengraben auf. Gewehr im Anschlag, vermuten englische Soldaten ein übles deutsches Täuschungsmanöver. Hatten schon böse Erfahrungen gemacht. Aber dann: Stille Nacht, heilige Nacht... singen die deutschen Männer. Silent night, das kennt man in England. Das geht so zu Herzen, da könnten sie mitsingen. Und das tun die britischen Soldaten dann auch. Die Angst schwindet und das Misstrauen. Immer mehr Kerzen werden nun entzündet. Und die ersten Mutigen steigen auf beiden Seiten heraus aus den Gräben, treffen sich zwischen den toten Kameraden und reichen sich die Hände.

Es ist ja Weihnachten. Manch einem kommt in den Sinn, was er daheim immer zu Heiligabend in der Kirche hörte: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden. Ein klein wenig davon wird heute Abend wahr. Immer mehr Männer steigen über den Stacheldraht. Weihnachtsbäumchen stellen die Deutschen auf, bringen kleine, kerzengeschmückte Bäume hinüber zu den Engländern und diese antworten mit ihren Mistelzweigen. Das setzt sich fort an der ganzen Westfront. Auch Franzosen singen Douce nuit und erleuchten die Wälle. Tausende sind es in dieser Nacht, die sich finden, Geschenke austauschen, englischen Jam gegen deutsche Hartwürste, Wein, Rum und Zigaretten miteinander teilen und sich Fotos ihrer Bräute, Frauen und Kinder zeigen.Lachen, Weinen, Waffenstillstand für eine Nacht. Aus Feinden sind Kameraden geworden, die nur eines ersehnen: Frieden.

„Es ist schrecklich,“ schreibt später ein Landser nach Hause, „dass man den einen Tag so sehr in Frieden miteinander verkehren kann, und dass man am anderen Tage sich damit beschäftigen muss, sich degenseitig umzubringen.“ So weit ist es aber am nächsten Morgen noch nicht. Jetzt werden am Christtag erst einmal die Toten beerdigt. Das wird sogar von einigen Offizieren erlaubt oder zumindest hingenommen. Freund und Feind miteinander in die zerstampfte Erde gelegt. Und auf den nun freien Flächen, was macht man da? Fußballspielen natürlich! Die Engländer haben immer Bälle dabei. Andere spielen wie die Kinder mit Konservendosen. Auf den Wällen sitzen die Mannschaften als Zuschauer. Es ist eine Gaudi, sagen die Bayern.

Aber Krieg ist eine todernste Sache. Einfach Frieden machen, ist nicht erlaubt. Verbrüderung mit dem Feind ist Wehrkraftzersetzung und unsoldatisch. Die oberen Heeresleitungen auf allen Seiten greifen ein. Bis zum Jahresende muss der Spuk vorbei sein. Die Regierungen sind empört, dass ganz unten, in den Schützengräben, der Krieg verweigert werden sollte. Allerdings setzt sich der von oben befohlene Krieg nur langsam wieder durch. Das neue Jahr 1915 wird an der Westfront durchweg mit Böllerschüssen begrüßt. Doch letztlich hatte der kleine Weihnachtsfriede im Großen Krieg keine Chance. Hunderttausende fanden weiterhin den Tod. Die aber, die überlebt haben und die Gefallenen, die vorher in Briefen ihren Familien vom Weihnachtswunder geschrieben hatten, haben diese Geschichte nicht sterben lassen. Sie wird bis heute immer wieder erzählt in der Hoffnung, dass der Friede größer ist als Aggression und Hass. Wann, wenn nicht an Weihnachten, könnte uns das Hoffnung machen?

Zur Autorin:

Renate Kirsch Gottesdienst Brannenburg am Inn
Renate KirschBild: Renate Kirsch

Renate Kirsch (Jahrgang 1937) lebt in Oberbayern, in Brannenburg am Inn. Sie ist in Duisburg geboren und studierte Germanistik sowie evangelische Theologie und war dann als Deutsch- und v.a. als Religionslehrerin am Gymnasium tätig. Von 1988 bis 1992 sprach Renate Kirsch in der ARD das »Wort zum Sonntag«. Seit vielen Jahren ist sie in der kirchlichen Rundfunkarbeit, in der Erwachsenenbildung und beim Weltgebetstag der Frauen (jedes Jahr am 1. Freitag im März) tätig. Renate Kirsch ist mit einem Pfarrer verheiratet und sie haben drei mittlerweile erwachsene Kinder.

Verantwortlicher Redakteur: Pfarrer Christian Engels