Bekenntnis zur Demokratie erwartet
4. Februar 2014Deutliche Worte haben sie gesprochen - Politiker der Bundesregierung und der Opposition - angesichts des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Unionsfraktionschef Volker Kauder ermahnte den Premier (das Artikelbild zeigt Erdogan (2.v.r.) bei der Ankunft in Berlin), sich an die demokratischen Spielregeln zu halten. "Erdogan könnte hier einmal ein deutliches Bekenntnis zur Religionsfreiheit in der Türkei ablegen", sagte er "Spiegel Online". "Denn er will ja mit der Türkei auch nach Europa." Kauder ist gegen einen EU-Beitritt der Türkei und hatte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisch zur Menschenrechtslage und Religionsfreiheit dort geäußert.
Rechtsstaatliche Prinzipien
Mit Blick auf den massiven Korruptionsskandal, dem sich die Erdogan-Regierung seit Dezember ausgesetzt sieht, verlangte der SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich, dass Ankara rechtsstaatliche Prinzipien einhalten müsse. Es sei "unvermeidlich", Erdogan "darauf hinzuweisen, dass sein Vorgehen gegen ermittelnde Beamte in den verschiedenen Verfahren weder akzeptabel noch mit rechtsstaatlichen Standards vereinbar ist".
Der türkische Regierungschef betrachtet die Ermittlungen als Verschwörung mit dem Ziel, seiner islamisch-konservativen AKP vor der Kommunalwahl im März zu schaden. Er ließ tausende Polizisten, hunderte Staatsanwälte und Richter strafversetzen und sorgte damit für Kritik der Europäischen Union.
Der europapolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Manuel Sarrazin, rief Kanzlerin Angela Merkel auf, eindeutige Worte zu sprechen. Erdogans Verständnis von Gewaltenteilung "entspricht nicht den Vorstellungen einer europäischen Demokratie".
In das gleiche Horn stieß der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Er riet Merkel, Erdogan zur Ordnung zu rufen - auch wegen der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste gegen seine islamisch-konservative Regierung im vergangenen Sommer sowie wegen Gefahren für Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei.
"Europa braucht die Türkei"
Am Dienstagvormittag hielt Erdogan zunächst vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin einen Vortrag zur Rolle der Türkei in der Welt. Er betonte, Europa brauche die Türkei. Die türkische Wirtschaft sei in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, das nationale Einkommen und die Exporte hätten sich vervielfacht, die Arbeitslosigkeit sei zurückgegangen. Es werde unmöglich sein, das 21. Jahrhundert ohne die Türkei zu gestalten, so Erdogan. Sein Land könne einen wesentlichen Beitrag zum Frieden in der Region leisten.
Der türkische Premier wird am Mittag von Merkel im Kanzleramt empfangen und anschließend auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Vizekanzler Sigmar Gabriel treffen. Ankara setzt auf deutschen Beistand, um die Beitrittsverhandlungen mit der EU voranzutreiben. "Wir vertrauen auf die Führungsrolle Deutschlands und ihre Unterstützung", machte der türkische Außeminister Ahmet Davutoglu am Montag im Gespräch mit Steinmeier in Berlin deutlich. Der Bundesaußenminister plädierte nach dem Treffen trotz der jüngsten Kritik an der Türkei für eine Beschleunigung der Aufnahme-Verhandlungen: "Die Tür muss offenbleiben für die Türkei."
se/wa/kis (dpa, afp, rtr, spiegel online)