Im Aufschwung
19. April 2012Um 0,9 Prozent soll die Wirtschaft in Deutschland in diesem Jahr wachsen. 2013 sollen es rund zwei Prozent sein. Zu diesem Ergebnis kommen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem aktuellen Frühjahrsgutachten. 0,9 Prozent, das ist nicht besonders viel, aber angesichts einer zugespitzten europäischen Schulden- und Vertrauenskrise ist es doch mehr, als auch die Wirtschaftsforscher noch im Herbst 2011 erwartet hatten.
Seitdem, so erklärt Joachim Scheide vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel, habe sich das Konjunkturbild jedoch grundlegend geändert. "Wir standen damals unter dem Eindruck des sogenannten Unsicherheits-Schocks und es war so, dass alle Stimmungsindikatoren praktisch im freien Fall waren. Das betraf auch die Aktienmärkte." Zur Beruhigung habe sowohl die Einführung des Fiskalpakts beigetragen, als auch der massive Eingriff der Europäischen Zentralbank.
Fast geschenktes Geld
Ein Eingriff, den die Forscher allerdings mit gemischten Gefühlen beobachten. Noch nie war an den Kapitalmärkten so billig Geld zu bekommen, die Zinsen sind in zahlreichen Ländern auf einem historisch niedrigen Niveau. Die deutsche Konjunktur profitiert von der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank in besonderem Maße. Kai Carstensen vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München spricht von der Reformdividende, die Deutschland jetzt einfahre.
Ein Vorteil sei vor allem die niedrige Verzinsung von Bundesanleihen. "Aber das ist ja kein Naturgesetz, sondern das ist die Folge von vorherigen Anstrengungen und das ist auch ein ganz wichtiges Signal an die Bundesregierung, in ihren Konsolidierungsbemühungen auf keinen Fall nachzulassen."
Die lockere Geldpolitik der EZB habe bereits zu massiven Verwerfungen und damit zu volkswirtschaftlichen Kosten an anderer Stelle geführt, so Carstensen. Die Forscher sehen mit großer Sorge, dass Deutschland zum größten Kreditgeber der europäischen Währungsunion geworden ist. Schon heute würden die Verbindlichkeiten der Krisenländer Griechenland, Irland, Italien, Spanien und Portugal im Zahlungsverkehrssystem der Notenbanken der Euro-Zone, dem so genannten Target 2, bei 637 Milliarden Euro liegen.
Die Krise bleibt
Joachim Scheide macht deutlich, dass es keineswegs klar sei, dass sich die Lage in den Krisenländern dauerhaft stabilisieren lasse. "Die Schuldenkrise ist nach wie vor ungelöst und sie kann jederzeit wieder aufbrechen. Es kann sein, dass es nur wenige Wochen dauert, wenn ein Land beispielsweise Schwierigkeiten hat, Anleihen zu platzieren."
Ein Risiko, das auch der deutschen Konjunktur schnell wieder einen deutlichen Dämpfer versetzen könnte. Vor diesem Hintergrund finden es die Forscher fatal, dass der Wille zur Sparsamkeit in Deutschland merklich nachgelassen hat. Konjunkturbedingte Mehreinnahmen und Minderausgaben seien kein Ersatz für strukturelle Anpassungen, heißt es im Frühjahrsgutachten. Hinzu komme die Inflationsgefahr. Löhne und Preise würden in Deutschland mittelfristig deutlich stärker steigen als in anderen Ländern. Auch das werde Folgen für den Bundeshaushalt haben.
Wirtschaft fordert mehr Reformwillen
Als Reaktion auf das Frühjahrsgutachten mahnen auch Wirtschaftverbände in Deutschland mehr Sparanstrengungen an. Die gute Konjunktur müsse zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. "Die Lösung der Schuldenkrise in Europa steht und fällt aber mit der glaubwürdigen Umsetzung der Schuldenbremsen vor Ort. Diesen Schuh muss sich auch Deutschland anziehen. Denn zur Sanierung trägt hierzulande bislang nicht Sparsamkeit, sondern die robuste Konjunktur bei."
Der Arbeitgeberverband BDA warnt die Koalition vor sozialen Wohltaten: "Die Einführung des unsinnigen Betreuungsgeldes muss genauso unterbleiben wie die in der Krankenversicherung geplanten zusätzlichen Ausgaben."