Die Krise als Chance?
13. November 2011DW-WORLD.DE: Herr Langguth, im aktuellen ARD-Deutschlandtrend gaben 57 Prozent der Befragten an, sie seien mit der politischen Arbeit von Angela Merkel zufrieden. Im Oktober waren es noch 48 Prozent. Wie erklären Sie sich das?
Dass von einem auf den anderen Monat eine solche Steigerung der Beliebtheitswerte stattfindet, ist ungewöhnlich. Es zeigt, dass es ein Ereignis gegeben haben muss, das die Wähler besonders beeindruckt hat. Und das dürfte der EU-Gipfel in Brüssel gewesen sein. Hier haben Merkel und Sarkozy eine Reihe von Vorschlägen erarbeitet, mit denen sie die Euro-Krise glätten wollen, und sie haben auch Griechenland für Reformen ins Boot geholt.
Warum sind gerade jetzt mehr Menschen mit der politischen Arbeit Merkels zufrieden?
Was ihren Beliebtheitsgrad ausmacht und was die Leute an Angela Merkel schätzen, ist ihr enormer Fleiß. Die Deutschen haben verstanden, dass Merkel von früh bis spät für die Rettung des Euro kämpft. Und auch die Tatsache, dass die Pressekonferenz über die Gipfel-Ergebnisse morgens um vier Uhr stattgefunden hat, war ein Hinweis darauf. Ich kenne keinen Politiker, der mit so wenig Schlaf auskommt wie Merkel. Eine weitere Eigenschaft von Frau Merkel ist ihre "Sehnsucht nach Detailkenntnissen": Sie weiß um die Details der europäischen Notwendigkeiten und der Euro-Rettung. Sie liebt mehr als andere Regierungschefs die Stellen hinter dem Komma. Und das ist gerade in der jetzigen Krisensituation besonders notwendig.
In einem Artikel haben Sie Angela Merkel "die heimliche Kanzlerin der EU" genannt. Wie ist das zu verstehen?
Sie ist deshalb die "heimliche Kanzlerin" der EU geworden, weil die Europäische Union Führung braucht und Führung haben will. Und diese Führung kann nur der ökonomisch stärkste Staat des Euroraums leisten. Auch deshalb ist Merkel die stärkste Politikerin. Und ihr ist diese Rolle quasi automatisch zugefallen, zumal Sarkozy als französischer Präsident, der ja auch eine starke Rolle spielt, diese Rolle im Moment nicht ausfüllen kann. Außerdem ist die französische Wirtschaft derzeit ein Stück weit angeschlagen. Sarkozy kämpft ferner im kommenden Jahr um seine Wiederwahl. Cameron kommt auch nicht in Betracht, weil Großbritannien nicht zur Eurozone gehört. Und andere: Berlusconi ist in einem Rücktrittsprozess. Es gibt im Grunde genommen derzeit nur noch Merkel, die relativ unangefochten die Führung des Euroraums wahrnehmen kann.
Wie würden Sie Angela Merkels Politikstil beschreiben?
Sie hat einen sehr pragmatischen Politikstil. Sie ist eine unideologische Problemlöserin. Insgesamt tut sie sich schwer, eine inhaltliche Botschaft zu vermitteln.
Ist das ein Vorteil in der Krisenbewältigung?
Es kann auch ein Nachteil sein. Die Menschen wollen wissen, in welche Richtung es geht und wohin die Kanzlerin sie führen will.
Was würden Sie raten: Wie könnte Angela Merkel sich besser verkaufen?
Sie muss mehr kund tun, was ihre Botschaft ist, was sie selber denkt. Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl war ein Geschichtsdeuter, sie ist im Grunde genommen eine "Erklärkanzlerin". Das bedeutet, dass sie unendlich viele Interviews gibt und dabei immer erklärt, was der Sachverhalt ist. Aber dabei bringt sie nicht zum Ausdruck, wie die Dinge in der Zukunft laufen sollen. Sie geht nüchtern und relativ praktisch orientiert an die Probleme heran. Und dann versucht sie, diese Probleme in kleinen Trippelschritten zu lösen. Und das reicht nicht aus, die Menschen wollen jemanden haben, der über Visionen verfügt.
Aus der CDU kommt immer wieder der Vorwurf, Angela Merkel sei von Themen abgerückt, für die sie stand. Ein Beispiel ist der Ausstieg aus der Atomenergie. Auf dem Bundesparteitag am 14. und 15. November in Leipzig wird die Debatte um den gesetzlichen Mindestlohn ein Thema sein. Wie gefährlich sind derartige Kehrtwendungen für das Klima in der eigenen Partei?
Merkel mutet ihrer eigenen Partei sehr viel zu mit Themen wie der Bundeswehrreform bis hin zur Frage des Mindestlohnes. Sie wird allgemein von vielen als zaghaft dargestellt, aber an diesen Beispielen hier sieht man, dass sie durchaus führt, auch in eine für manche unangenehme Richtung.
Es gibt das Gerücht, Angela Merkel sei nach der Wende zufällig in die CDU hineingestolpert, sie passe da eigentlich nicht rein. Ist da etwas dran?
Das Herkommen von Frau Merkel ist sicherlich nicht typisch CDU: Der Vater war links orientiert, die Mutter war Mitglied in der SPD und der Bruder war auch zumindest zeitweilig grün. Angela Merkel ist, als sie sich entschieden hat, politisch aktiv zu werden, nicht sofort in die CDU gegangen, sondern sie ist zunächst bei der Bürgerrechtsbewegung "Demokratischer Aufbruch" gewesen. Das war eine Bewegung, die ein relativ breites politisches Spektrum an Menschen umfasste. Und dieser "Demokratische Aufbruch" hatte sich dann immer mehr in Richtung CDU orientiert. Die Tatsache, dass sie CDU-Mitglied wurde, war ihr nicht ins Stammbuch geschrieben.
Sie sagten, Angela Merkel mute ihrer eigenen Partei sehr viel zu. Glauben Sie, dass die Partei auf dem bevorstehenden Parteitag geschlossen hinter Frau Merkel stehen wird?
Die Partei wird Frau Merkel sicherlich bejubeln. Man muss natürlich schon sehen, dass die CDU längst nicht mehr die Umfragewerte hat wie früher, und die Koalition steht ja in der Öffentlichkeit nicht sehr gut da. Das führt automatisch dazu, dass auf einem Parteitag die Profis, die dort vertreten sind, zusammen rücken. Deswegen wird es meines Erachtens auch einen lang anhaltenden Beifall am Montag beim Rechenschaftsbericht von Frau Merkel geben. Was nicht heißt, dass es auf dem Parteitag nicht auch zu einzelnen Ausbrüchen von Konflikten kommen kann. Etwa in der Mindestlohnangelegenheit.
Prof. Dr. Gerd Langguth ist Publizist und Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Er war Bundestagsmitglied der CDU, Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung und hat eine Biografie von Angela Merkel verfasst.
Das Gespräch führte Heike Mohr
Redaktion: Hartmut Lüning