1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die Morde der Militärdiktatur dürfen nicht vergessen werden"

Das Gespräch führte Steffen Leidel14. April 2005

Bei seinem Besuch in Deutschland wurde der argentinische Präsident Kirchner für seinen Umgang mit der Militärdiktatur gelobt. Zu Recht, meint der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck im DW-WORLD-Interview.

https://p.dw.com/p/6VRa
Präsident Nestor Kirchner mit Ehefrau in BerlinBild: AP

DW-WORLD: Der argentinische Präsident Nestor Kirchner hat sich seit Beginn seiner Amtszeit vor zwei Jahren die Aufarbeitung der Militärdiktatur (1976-1983) auf die Fahnen geschrieben. Wie bewerten Sie als Koalition gegen Straflosigkeit, die sich im Namen deutscher Opfer seit Jahren für eine strafrechtliche Verfolgung der Militärs einsetzt, seine Menschenrechtspolitik?

Wolfgang Kaleck
Wolfgang Kaleck

Wolfgang Kaleck: Im Kampf gegen die Straflosigkeit der Verbrechen der damaligen Militärdiktatur beurteilen wir die Rolle der Regierung Kirchner insgesamt positiv. Kirchner hat sozusagen die Initialzündung dafür gegeben hat, dass die Prozesse gegen die Militärs noch einmal in Gang kommen. Er hat die so genannten Amnestiegesetze (die den Tätern der Militärdiktatur Straflosigkeit garantierten. Anmerkung der Red.) aufgehoben und das insgesamt auch mit seiner ganzen Person befürwortet. Das Problem bleibt die Justiz, auf die Kirchner relativ wenig Einfluss hat. In der Justiz streiten menschenrechtsfreundliche Kräfte gegen eher alte Kräfte, die aus Zeiten der Militärdiktatur stammen, die korrupt sind, oder die die Ideologie der Militärdiktatur noch in sich tragen.

Sie stehen im direkten Kontakt zu verschiedenen Anwälten in Argentinien. Kann man die Behauptung stehen lassen, dass die Seilschaften der Militärdiktatur zum Teil noch aktiv sind?

Wichtig ist das Nachwort "zum Teil". Was man der Regierung Kirchner entgegenhalten muss, ist, dass die Militärs nach wie vor Privilegien genießen. Wenn Militärs Verbrechen begangen haben, sind sie genau wie andere Straftatverdächtige zu behandeln und wenn sie abgeurteilt werden, sind sie genauso zu behandeln wie andere Abgeurteilte. Teilweise ist es so, dass die Staatsanwälte und die Gerichte noch nicht einmal wissen, wo die Militärs sich aufhalten. Die Militärs beanspruchen für sich, die Straftatverdächtigen selbst in der Hand zu behalten und was man intern hört, ist, dass die ein recht feines Leben genießen.

Welche Bilanz zieht die Koalition gegen Straflosigkeit für ihre eigene Arbeit während der Amtszeit Kirchners? Und was gibt es für Sie jetzt noch zu tun?

Für unsere deutschen Fälle kann ich nur sagen, dass die Regierung Kirchner ihr Wort gehalten hat und die Auslieferungsersuchen, die von der Bundesregierung an die argentinische Regierung bezüglich der noch lebenden Mitglieder der Junta Videla und Massera gestellt worden waren, dass sie diese Auslieferungsersuchen sofort vom argentinischen Außenministerium an die Justiz weitergeleitet hat, während die vorherigen Regierungen sie schon immer auf der Regierungsebene abgelehnt und gar nicht erst weitergeleitet haben. Das ist, denke ich, ein sehr wichtiger und richtiger Schritt. Auf der anderen Seite muss die Justiz auch mit genügend Mitteln ausgestattet werden. Es geht da um Riesenverbrechenskomplexe, es geht um 30.000 Verschwundene.

Werden sie zur Verfügung gestellt?

Ich habe manchmal den Eindruck, nein. Aber das ist natürlich auch relativ zu sehen. Ich meine, in einem Land wie Argentinien, wo öffentliche Ausgaben insgesamt eingeschränkt werden müssen, kann man natürlich auch nicht damit rechnen, dass wie in Deutschland einfach mal eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft mit 20 Staatsanwälten und Polizeibeamten geschaffen wird. Ich diskutiere das auch nicht als Fehler der Regierung Kirchner, ich sage einfach nur, es reicht nicht aus, dass die Regierung Kirchner ihrerseits die politischen Hindernisse für die Verfahren gegen die Militärs aus dem Weg geräumt hat, sondern es muß sowohl die argentinische Gesellschaft als auch die sie unterstützenden europäischen Regierungen ihren Teil dazu beitragen, dass der Justizapparat auch in die Lage versetzt wird, mit diesen Verfahren fertig zu werden.

Lesen Sie im zweiten Teil, was sich Kaleck von Kirchners Besuch erwartet und welche Verfehlungen die Koalition der deutschen Bundesregierung zu Zeiten der Militärdiktatur vorwirft.

Was erwarten Sie sich von Kirchners Besuch in Deutschland?

Die gegenseitigen Besuche von deutschen und argentinischen Staatschefs stehen doch immer wieder im Zeichen von Geschäften und im Zeichen der Wirtschaft. Das ist ja auch durchaus verständlich. In einem Land wie Argentinien ist die ökonomische Lage ja einfach so dramatisch. Aber wir erwarten, dass das noch offene Problem der deutschen Verschwundenen und der Verschwundenen überhaupt von der deutschen Regierung gegenüber der Regierung Kirchner angesprochen wird. Und zwar als gemeinsames Problem, so wie wir das auch sehen. Es ist nicht ein isoliertes Problem Argentiniens, sondern auch westeuropäische Regierungen haben während der Zeit der Diktatur nicht das ihre getan, um die Fälle vernünftig aufzuarbeiten. Auch die deutsche Justiz ermittelt erst seit 1998, obwohl sie schon in den 1970er oder frühen 1980er Jahren hätte ermitteln können. Da muss man sich auch an die eigene Nase packen.

Können Sie noch mal konkreter werden, was Sie meinen mit dem "an die eigene Nase fassen"? Wo müsste die Bundesregierung jetzt noch nacharbeiten?

Hier muss man erst einmal sehr deutlich unterscheiden zwischen dem aktuellen Verhalten der Bundesregierung, speziell des Bundesjustizministeriums und des Bundesaußenministeriums. Das Bundesjustizministerium hat die Arbeit der Koalition gegen Straflosigkeit, also die Betreibung der deutschen Verfahren gegen Argentinische Militärs von Anfang an, also seit 1998, unterstützt. Und das Außenministerium hat die Fälle auch in den letzten Jahren unterstützt und im Gegensatz zu Spanien hat ja Deutschland das Auslieferungsbegehren gegen Videla und Massera gestellt und nicht etwa gesagt: Wir lassen das, weil in Argentinien sowieso alles bestens läuft. Nichtsdestotrotz, und das ist die zweite Seite der Medaille, gilt es natürlich auch, die Versäumnisse der Vergangenheit noch angemessen aufzuarbeiten und da stimmen wir nach wie vor nicht mit der Bundesregierung überein.

Inwiefern?

Da gibt es nach wie vor Konflikte, gerade mit dem Außenministerium. Dem werfen wir vor, speziell in den beiden Fällen der deutschen Studenten Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank eben nicht alles getan zu haben, um sie zu retten, sondern sich im Gegenteil teilweise Versionen der Militärdiktatur zu eigen gemacht zu haben. Und wir werfen der deutschen Wirtschaft massiv vor, dass sie Kumpanei mit den Militärs betrieben hat. Also im Fall der verschwundenen Gewerkschafter von Mercedes-Benz, wo Mercedes-Benz im Grunde daran verdient hat, dass die Gewerkschaft in Argentinien geköpft wurde, aber auch die Verleihung von Bundesverdienstkreuzen an einen argentinischen Militär.

Welchen Fall meinen Sie da jetzt konkret? Also an wen wurde das Bundesverdienstkreuz verliehen?

Es geht um den ehemaligen Militärattaché an der argentinischen Botschaft in Bonn, Juan José Masi. Dem wurde das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der war nach seiner Rückkehr in sein Heimatland unter anderem für die Zensur unter der Junta zuständig. Diesen Fall haben wir kürzlich als Koalition gegenüber dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Tom Koenigs, angesprochen. Hier wird im Nachhinein noch einmal geprüft, ob die Verleihung des Bundesverdienstskreuzes nicht rückgängig gemacht werden kann.