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Die Rückkehr der Raucher

Michael Hartlep7. Juni 2012

Lange war es aus dem Fernsehen verschwunden: das Rauchen. Doch jetzt wabert der blaue Dunst wieder durch die Studios. Anlass für eine Betrachtung über die Ästhetik und die kulturelle Bedeutung des Rauchens.

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Junge Frau raucht eine Zigarette (Foto: picture-alliance/KEYSTONE)
Symbolbild Rauchen Raucherin Frau ZigaretteBild: Picture-Alliance/KEYSTONE

Eigentlich darf im deutschen Fernsehen nur einer rauchen: Altbundeskanzler Helmut Schmidt, zu ihm gehört die Zigarette einfach dazu. Inzwischen tauchen aber noch andere Raucher auf der Mattscheibe auf. Sie sitzen in der Talkshow "Roche & Böhmermann", die seit kurzem wöchentlich im Spartenkanal ZDF.kultur des öffentlich-rechtlichen und damit gebührenfinanzierten Fernsehens läuft.

Das Konzept der Sendung ist einfach: ein runder, spärlich beleuchteter Tisch mit alten Tischmikrofonen, fünf Gäste und die beiden Moderatoren Charlotte Roche und Jan Böhmermann. Auch wenn beide laut eigenem Bekunden Nichtraucher sind - in der Sendung sind Raucher ausdrücklich willkommen. "Ich habe da eigentlich gar keinen Einfluss", sagt Jan Böhmermann mit einem Augenzwinkern und gespielter Unschuld. "Es ist der Gebührenzahler, der Raucher im Fernsehen sehen möchte. Mir tut es weh in der Lunge und in der Seele, aber ich kann nichts daran ändern." Während sich die rauchenden Gäste freuen, stößt die vermeintliche Offenheit bei anderen Gästen auf Ablehnung. Farin Urlaub, Frontman der Punkrock-Band "Die Ärzte", sagte sogar seine Teilnahme ab. Er wollte nicht in einer Sendung auftreten, die Rauchern ein Forum bietet.

Diskussion um die Fernsehraucher

Auch in der Polit-Talkshow "Stuckrad Late Night" - ebenfalls im ZDF - glüht regelmäßig der Glimmstängel. Kein Wunder: Gastgeber und Popliterat Benjamin von Stuckrad-Barre ist selbst leidenschaftlicher Raucher. Doch nicht jeder Nikotinabhängige mag sich öffentlich outen: Viele der eingeladenen Raucher weisen die angebotene Zigarette zurück. Zu groß die Gefahr, das Publikum gegen sich aufzubringen.

Seit 2007 gelten in allen deutschen Bundesländern Gesetze, die Nichtraucher vor dem krebserregenden Qualm schützen sollen. Seitdem sind die Raucher aus Zügen, Büros und Kneipen verschwunden. Nur auf Bühnen und an Filmsets ist das Rauchen noch gestattet. Der Nichtraucherverband Pro Rauchfrei hat nun Beschwerde beim ZDF eingereicht und die Produktionsfirmen der betreffenden Sendungen angezeigt. Um jeden Preis wollen die Nichtraucher verhindern, dass das Beispiel Schule macht. Das ZDF auf der anderen Seite gibt sich gelassen. Intendant Markus Schächter argumentiert, das Rauchen sei ein "künstlerisches Stilmittel", mit dem man ästhetisch auf frühere Talkshows anspielen wolle.

Szene aus der Talkshow "Roche & Böhmermann" (Foto: Horst Galuschka)
Kalkulierter Tabubruch: Zigaretten und Whiskey in der neuen Talkshow "Roche und Böhmermann"Bild: picture-alliance/dpa

Rauchen im Fernsehen…

Früher waren die Gesprächs- und Diskussionssendungen veritable Rauchersalons. Es wurde so viel geraucht, dass die Interviewgäste manchmal nur noch schwer auszumachen waren. Von 1956 an etwa moderierte der Journalist Werner Höfer jeden Sonntagmorgen den "Internationalen Frühschoppen", eine Runde mit fünf Journalisten, die tranken, rauchten und sich nebenher über die Weltpolitik ausließen. Die Sendung - heute ein Klassiker - lief über 30 Jahre.

Daneben gab es mit "Zur Person" und "Zu Protokoll" zwei legendäre Interviewsendungen, in denen der Journalist Günter Gaus mit Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, Kunst und Kultur intensive Gespräche führte. Kein Thema, das im Laufe der Jahrzehnte nicht behandelt wurde. Die Zigarette gehörte auch dazu, als Anfang der 70er Jahre die ersten Talkshows aufkamen. "Je später der Abend" hieß eine Sendung, die ab 1973 im WDR lief. Exzentrische Künstler wie Klaus Kinski, die Punk-Sängerin Nina Hagen und die Schauspielerin Romy Schneider schrieben hier umwabert von Rauchschwaden Fernsehgeschichte.

Szene aus dem "Internationalen Frühschoppen" (Foto: dpa)
Trinken, rauchen, reden: der "Internationale Frühschoppen"Bild: picture-alliance/ dpa

Der österreichische Philosoph Robert Pfaller ist Professor an der Universität für angewandte Kunst in Wien und hat zahlreiche Bücher über die Gegenwartskultur veröffentlich. Er meint, das Rauchen sei damals nicht etwa freche Attitüde, sondern alltägliches Genussmittel gewesen - unverzichtbar und selbstverständlich. "Genau wie elegante Kleidung und gutes Benehmen gehörte das Rauchen damals zum zivilisierten Verhalten. Man tat es, um den anderen angenehm zu sein. Das spiegelte sich dann auch im Fernsehen."

…und im Kino

Das Rauchen prägte aber nicht nur das Fernsehen, sondern schlug sich auch in unzähligen Kinofilmen nieder. Egal ob "Casablanca", "The Good, the Bad and the Ugly" oder "Sherlock Holmes" - ohne Zigarette oder Pfeife war der Held kaum denkbar. Der Glimmstängel stand damals für Lässigkeit, Abenteuer und Männlichkeit. Für die Frauen galt Tabakkonsum noch bis in die 1940er Jahre als unschicklich. Das änderte sich allerdings im Zuge der Emanzipationsbewegung Anfang der 50er Jahre. Die Zigarette in der Frauenhand wurde zum Inbegriff von Selbstbestimmtheit, Freiheit und Verführung - die rauchenden Leinwanddiven wie Audrey Hepburn in "Frühstück bei Tiffany" zu Ikonen für Millionen von jungen Frauen. In Zeiten, als bereits eine nackte Schulter als anstößig galt, fungierte das Rauchen auch als Metapher für Erotik. "Hätten sie mal Feuer?" lautete die entscheidende Frage, mit der unzählige Kinoschönheiten das Liebesabenteuer einleiteten.

Ära der Lustfeindlichkeit?

In Hollywood begann es, mit Hollywood verschwand es: Die Stimmung schlug um, nur noch Fieslinge durften an der Zigarette ziehen, um den Rauch dann langsam in das Gesicht der Guten zu blasen. Philosoph Pfaller sieht die Ursache in einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Umschwung: "Bis vor 20 Jahren war das Rauchen noch toleriert und willkommen." Heute seien die Menschen wesentlich lustfeindlicher als früher. Heute brauchten die Menschen Anlässe, um sich den Genuss zu erlauben. Kein Mensch trinke alleine Champagner. Erst wenn ein gesellschaftliches Ereignis wie ein Geburtstag anstehe, werde die Sektflasche geköpft.

Öffentliches Rauchen als Tabubruch

Heute gilt fürs Fernsehen wie für die Allgemeinheit: Rauchen verboten! Der Nichtraucherschutz gebietet das. Wer trotzdem raucht, muss mit Kritik rechnen. Roche, Böhmermann und Stuckrad-Barre wissen das natürlich sehr gut. Sie nutzen das Rauchen für den gezielten Tabubruch und die Abgrenzung vom vermeintlich langweiligen Mainstream. Schließlich sind sie geübt, wenn es um Provokation geht. So erläutert Jan Böhmermann, dem selten ein ernst gemeinter Satz über die Lippen kommt: "Es wird Tabak konsumiert, aber für die ganz harten Fälle erlauben wir auch Crack." Illegale Drogen gibt es selbstredend nicht. Doch der Whiskey steht bei "Roche & Böhmermann" schon auf dem Tisch. Womöglich verstehen die Moderatoren dies als Vorboten eines neuen, genussfreudigeren Zeitalters.