Die Wiege der Zivilisation wird geplündert
2. August 2005Nach und nach tauchen sie wieder auf: Vasen, Statuetten, Siegelrollen und andere Kunstschätze, die in dem Chaos, das nach der US-Invasion im Irak 2003 ausbrach, von Plünderern aus dem Nationalmuseum in Bagdad gestohlen worden waren. Sei erzählen von 8000 Jahren Geschichte im Zweistromland, wo vor über 5500 Jahren die Schrift erfunden wurde, wo Hammurabi den ersten Gesetzestext niederschreiben ließ und wo mit dem Gilgamesch-Epos die älteste überlieferte Dichtung entstand.
Handel im Internet
Viele Objekte würden auf dem Schwarzmarkt verkauft, andere mit gefälschten Herkunftszertifkaten angeboten und auch bei Internet-Auktionen werde mit antiken Kunstgegenständen aus dem Irak gehandelt, sagt Fabrizio Rossi, der zuständige Beamte in der Interpol-Zentrale in Marseille. "Es ist eine Tragödie", sagt Rossi. "Es wird mit Stücken spekuliert, die in Museen erhalten und studiert werden sollten." Doch er kann auch auf Erfolge verweisen: So wurden immerhin 7000 der rund 15.000 Objekte, die aus dem Nationalmuseum gestohlen worden waren, inzwischen in Italien, den USA, Jordanien und weiteren Ländern beschlagnahmt. Dies sei ein Ergebnis der sehr engen Zusammenarbeit zwischen Interpol, Archäologen und der UN-Kulturorganisation UNESCO, erklärt Rossi: "Dass die Stücke an Grenzen und bei Händlern gefunden werden konnten, ist vor allem der Roten Liste zu verdanken."
Keilschrift ist verdächtig
Die Liste hatte der internationale Museumsrat (ICOM) der UNESCO unmittelbar nach den Plünderungen erstellt, erzählt der ICOM-Generalsekretär John Zvereff. Die Liste führt keine gestohlenen Gegenstände auf, sondern allgemeine Typologien: So weist sie darauf hin, dass Siegelrollen und Objekte mit Keilschrift oder aramäischen Texten prinzipiell verdächtig sind. "Mit Präsentationen haben wir versucht, in Europa und den USA, also den größten Märkten, die Öffentlichkeit zu informieren, um so die Vermarktung zu erschweren", sagt Zvereff. "Wir haben Auktionshäuser aufgefordert, die Herkunft zu prüfen - sie können sich also nicht auf Unwissenheit berufen."
Fünfmal auf dem Schwarzmarkt verkauft
"Derzeit wissen wir zum Teil gar nicht, wonach wir genau suchen müssen", sagt Chiara Dezzi-Bardeschi, vom UNESCO-Koordinationskomitee für die Sicherung des Kulturellen Erbes des Irak. Ein von der Schweiz finanziertes UNESCO-Projekt sei daher dabei, eine Datenbank für das Nationalmuseum zu erstellen. Die aufwändigen Recherchen zur Dokumentation der Objekte seien essenziell im Kampf gegen den illegalen Handel. Während Teile der Beute in andere Länder geschmuggelt wurden, waren einige der gestohlenen Schätze dafür schlicht zu einzigartig. So wurde die 5200 Jahre alte, marmorne Uruk-Maske, auch bekannt als die "Mona Lisa von Mesopotamien", schon im September 2003 mithilfe eines Informanten im Irak wieder gefunden. Auf dem Schwarzmarkt war sie zuvor fünfmal verkauft worden, aber sie außer Landes zu schaffen, hatte niemand gewagt.
Plünderung der Grabungsstätten
Die Diebstähle und Zerstörungen im Nationalmuseum seien katastrophal gewesen, sagt Dezzi-Bardeschi. "Das alarmierendste Problem ist derzeit aber die Ausplünderung der archäologischen Grabungsstätten". Rund 10.000 gebe es davon im Irak, an den meisten seien die Grabungen in der Folge des Krieges eingestellt worden. An einigen Orten nahmen die Raubgrabungen geradezu industrielle Ausmaße an. Bei den Überresten von 5 der insgesamt 18 sumerischen Städte wurden inzwischen drei Meter der Oberfläche abgetragen.
Geschichte verschwindet
Die UNESCO versuche, für eine bessere Bewachung zu sorgen, erklärt Dezzi-Bardeschi. So habe man die Wachleute mit Fahrzeugen und Kommunikationsgeräten ausgestattet und verschiedene Trainingsprogramme angeschoben. "Es ist völlig unmöglich zu sagen, was derzeit alles verloren geht", sagt Dezzi-Bardeschi. "Denn natürlich sind die Sachen auch nicht dokumentiert." Jedes einzelne Objekt stehe in einem Zusammenhang, aus dem Archäologen Schlüsse ziehen könnten - verschwinde das Objekt, verschwinde der ganze geschichtliche Zusammenhang.
Für den Interpol-Beamten Rossi liegt das Problem vor allem in der Nachfrage. "Die Leute müssen begreifen, dass man derartige Stücke einfach nicht kaufen darf", sagt er. "Wer das tut, fördert das Plündern."