Donaueschinger Tage der Neuen Musik feiern Jubiläum
14. Oktober 2011Alle Jahre wieder: Ende Oktober geht die ganze europäische Szene der Neuen Musik in Klausur in das süddeutsche Städtchen Donaueschingen. Drei Tage lang wird die Ernte des Jahres präsentiert: 20 Uraufführungen werden frisch aus der Taufe gehoben.
An diesem langen Wochenende scheinen die Gerüchte vom Elfenbeinturm-Dasein der Neuen Musik widerlegt zu sein: In überfüllten Hallen ist kaum ein freier Platz zu bekommen; mehr als die Hälfte der Karten geht, so belegen soziologische Studien, nicht an das Fachpublikum, sondern an interessierte Musikliebhaber, die Jahr für Jahr nach Donaueschingen pilgern. Mit Spannung und Aufmerksamkeit folgen sie der Dramaturgie des Festivals.
Eine abwechslungsreiche Geschichte
Das Festival in Donaueschingen blickt auf neun Jahrzehnte bewegter Geschichte zurück. Einst durch den Fürstlich Fürstenbergischen Musikdirektor Heinrich Burkhard unter wohlwollender Protektion des Fürstenhauses gegründet, profilierte sich Donaueschingen mit Uraufführungen von Paul Hindemith, Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton von Webern.
In den 1930er Jahren den nationalsozialistischen Anschauungen angepasst, entwickelte sich Donaueschingen nach 1945 umso radikaler zu einem Forum für die Musik-Avantgarde. Seit 1950 trägt der Südwestfunk (heute SWR) die künstlerische Verantwortung für das Festival. Es versteht sich als Plattform für ein breites Spektrum von neuesten Musikentwicklungen: von scheinbar traditionellen Genres wie etwa dem Streichquartett bis hin zur Klanginstallation und Performance. Entscheidend ist der Experimentiercharakter des Werks.
"Eine Messe des Neuen"
"Es ist so, dass der repetitiv ausgerichtete Musikbetrieb sich angesichts herrschender Marktmechanismen riskante Experimente gar nicht mehr leisten kann und auch nicht leisten will", sagte Armin Köhler, der das Festival seit 1993 als künstlerischer Leiter betreut. "Und an dieser Stelle sind die Donaueschinger Tage als ein Arbeitsfestival für neue Musik gefragt. Sie verstehen sich als eine Messe des Neuen."
Das Eröffnungswerk des Festivals hat diesmal allerdings ein angesehener Meister der neuen Töne geliefert: Wolfgang Rihm. Mit seiner "Séraphin"-Symphonie für Ensemble und Orchester nach einem Text des französischen Schriftstellers Antonin Artaud setzt er eine Werkreihe fort. "Ich lasse dieses Material schon 20 Jahre lang wachsen, wuchern, verschwinden und wieder auftauchen", sagte Rihm. Die einstündige Komposition sieht der berühmte Komponist als einen Höhepunkt seines Schaffens an. Nach seiner Aufführung folgen 19 weitere Premieren von renommierten wie fast unbekannten Komponisten.
Ein Zwischenspiel auf dem Fußballfeld
In Donaueschingen glaubt man an das Potential der Neuen Musik. Ein Beweis dafür: Für 15 Millionen Euro hat die Stadt letztes Jahr die Donauhallen, das Zentrum des Festivals, umbauen und modernisieren lassen. Trotzdem ist Donaueschingen dafür berühmt, dass die Musik hier stets neue Räume sucht. So lockt dieses Jahr eine Fußballperformance ins Freie. Lokale Fußballvereine spielen in der Musik-Liga mit, und die Geräusche des Spiels werden aufgenommen und via Computer in Musik umgewandelt. Dabei gehe es nicht um ein Event, unterstrich die Festival-Leitung, sondern darum, die Bürger der Stadt zu erreichen.
Ansonsten, so Armin Köhler, habe sich in den 90 Jahren kaum etwas geändert. Das Festival habe nach wie vor die gleiche Funktion: "Es will Anstoß erregen, Anstöße geben, Diskurse auslösen und all jenen neuen Werken ein Forum bieten, die sich kritisch mit der Gesellschaft und zugleich ihrem ureigensten Material auseinandersetzen, dem Klang."
Autorin: Anastassia Boutsko
Redaktion: Suzanne Cords