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Politik

Englands gemobbte EU-Bürger

15. Januar 2018

Noch ist der Brexit nicht vollzogen. Doch schon jetzt machen Briten und ihre Behörden es EU-Bürgern schwerer, sich im Vereinigten Königreich wohl zu fühlen. Frank Hofmann hat sich in Nord-England umgesehen.

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Großbritannien London Houses of Parliament im Nebel | Symbolbild Brexit
Bild: Reuters/H. McKay

Brexit: EU-Bürger fühlen sich gemobbt

Bevor die Gäste kommen, wickelt Holger Hallmann den graublauen Turban um seinen Kopf. Der Deutsche aus Bremen lebt schon seit mehr als zehn Jahren in Großbritannien. Er ist in einem kleinen Ort westlich der Industriestadt Birmingham zum indischen Sikh-Glauben konvertiert und sieht seither aus wie viele Briten mit Wurzeln im britisch-indischen Kolonialreich. Doch in den Sikh-Tempel geht er schon seit dem Brexit-Referendum nicht mehr.

Unter den Briten, die gegen Europa gestimmt haben, sind auch viele aus indischen Einwander-Familien. Als Einwanderer aus Europa fühlt sich Hallmann heute ausgeschlossen. Der Deutsche engagiert sich in der Bürgerinitiative "the3million" (dt.: Die drei Millionen), in der sich EU-Bürger zu einem losen Netzwerk zusammengefunden haben, um ihre Rechte im Vereinigten Königreich über den Brexit hinaus zu verteidigen.

Viele von ihnen berichten davon, gemobbt zu werden - auf der Straße, im Supermarkt, wenn sie nicht Englisch sprechen. "Mir wurde klar, dass wir nicht einmal in der oppositionellen Labour Partei eine Lobby haben", sagt Hallmann.

Jahrelang integriert

Seit dem Brexit-Referendum sei ihm klar geworden, dass er nicht mehr Teil der britischen Gesellschaft ist: "Obwohl ich mich all die Jahre integriert habe." Der Freiberufler ist mit seinem Ex-Partner 2017 nach Großbritannien gezogen, nachdem der von den britischen Behörden angeworben worden war: Britannien suchte Fachkräfte in der Europäischen Union - Sozialarbeiter im Falle von Hallmans früherem Partner.

EU-Bashing (DW/R. Richter)
Aus den alten Arbeiterquartieren Nord-Englands berichten EU-Bürger von offener FremdenfeindlichkeitBild: DW/R. Richter

Weil er selbständig war verlief der Umzug für Hallmann problemlos - er könne als Mediengestalter überall arbeiten: Ein Computer, ein Internet-Anschluss, und das britische Steuerrecht habe es ihm einfach gemacht, sich anzumelden. Das ist keine außergewöhnliche Erwerbsbiographie in einer Europäischen Union der Niederlassungsfreiheit, jenes Rechts, das es EU-Bürgern erlaubt, seinen Wohnsitz und Arbeitsplatz in jedes Mitgliedsland zu verlegen. Doch seit dem Brexit-Referendum ist es mit dieser Leichtigkeit in Großbritannien vorbei.

Angst vor Abschiebung nach dem Brexit

Zu Besuch kommen zwei Freundinnen: Daniela Storrod ist Kind einer deutsch-britischen Ehe und hat selbst einen Briten geheiratet. Mittlerweile würde sie lieber in Deutschland leben. Kasia Talbot kommt aus Polen und hat dort ihren britischen Ehemann kennengelernt, sie haben 2003 geheiratet. Es gibt Tee und Kaffee, auf dem Tisch steht französisches Gebäck bereit. 

Die Polin Talbot hat Holger Hallmann hat erst vor kurzem kennengelernt - weil er von ihrer Leidensgeschichte erfahren hat: Mehr als ein Jahr lang sei die Mutter zweier in Großbritannien geborener Kinder einem Zusammenbruch nahe gewesen, weil sie die Unsicherheit nicht ausgehalten hat, nach einem Brexit abgeschoben zu werden. Deshalb hat sie gemeinsam mit ihrem britischen Ehemann die Staatsbürgerschaft beantragt. "Es war ein Alptraum", sagt Talbot. Sie musste mit Arztbriefen, Kontoauszügen, Quittungen nachweisen, wann sie wo gelebt hat.

EU-Bashing (DW/R. Richter)
Fühlen sich unerwünscht: die gebürtige Polin Kasia Talbot und die Deutschen Holger Hallmann und Daniela Storrod (v.l.)Bild: DW/R. Richter

Hallman weiß, wovon Talbot spricht. Er hat seine eigene Leidensgeschichte mit der britischen Ausländerbehörde hinter sich: Nach der Trennung von seinem deutschen Partner ist er eine neue Beziehung eingegangen. Er hat einen indischen Staatsbürger geheiratet. Und der brauchte eine Aufenthaltsgenehmigung. Ein relativ problemloser Vorgang in Deutschland und Frankreich.

Doch in Großbritannien ist es das seit dem Brexit-Votum nicht mehr. Plötzlich wollten die Behörden auch vom deutschen EU-Bürger Hallmann Nachweise darüber, wann er sich wo aufgehalten hat. Über Umwege erfährt er, dass die Behörden von höchster politischer Stelle in London angewiesen worden waren, so viele Anträge wie möglich abzulehnen. "Von einem Moment auf den anderen fragt man sich: Gehöre ich eigentlich tatsächlich hierher? Wollen mich die Menschen hier überhaupt?"

Mobbing von Staats wegen?

Die the3million-Bewegung sammelt mittlerweile Beweise dafür, dass die Regierung von Premierministerin Theresa May die Behörden zu Mobbing gegen EU-Bürger ermuntert. Vor allem EU-Bürger aus Mittel- und Osteuropäischen Ländern wie Polen und Litauen berichten aus ihrem Alltag schon lange von Anfeindungen: Sie sollten nicht in ihrer Muttersprache, sondern Englisch sprechen. Aus der Grafschaft Norfolk wurde der Bürgerinitiative kurz vor Weihnachten ein Flugblatt bekannt mit dem Titel: "Denken Sie über eine freiwillige Rückkehr nach?" Darunter bietet die Sozialbehörde der Grafschaft an, bei einem Umzug zurück auf den Kontinent zu helfen. Das Flugblatt ist auf Englisch, Polnisch und Rumänisch verfasst. "Wir prüfen, ob das überhaupt rechtens ist", sagt the3million-Sprecherin Maike Bohn.

EU-Bashing (DW/R. Richter)
Great Yarmouth in der Grafschaft Norfolk: In der Brexit-Hochburg stimmten 73 Prozent für den Austritt aus der EUBild: DW/R. Richter

In der Region Norfolk liegt der Wahlkreis Great Yarmouth von Theresa Mays Parteifreund Brandon Lewis. In dem Ort an der englischen Nordseeküste haben mehr als 70 Prozent für den Brexit gestimmt. Vor Mays Regierungsumbildung kurz nach dem Jahreswechsel war Lewis Staatssekretär für Einwanderungsfragen - Anfang Januar wurde er Parteivorsitzender der Britischen Konservativen.

Holger Hallmann hatte sich einmal für eine Bürgerinitiative in Birmingham engagiert, die Christen, Muslime und Sikh wie ihn zusammenbrachten. "Die meisten Gemeinschaften in Großbritannien leben ja getrennt nebeneinander her", sagt er. Von diesem Ehrenamt hat sich der Deutsche schon länger verabschiedet. Mittlerweile sei eine neue Gemeinschaft dazu gekommen: "Die der gemobbten EU-Bürger." Das will er aber nicht mehr mitmachen. Sein indischer Partner arbeitet mittlerweile für das Tochterunternehmen einer großen französischen Bank. Die beiden planen den Umzug - nach Paris.