Erschöpft und ausgebrannt
18. September 2009Seit einem Jahr arbeitet der 23-jährige Thomas Seidel in einem Inbound-Callcenter. Das heißt, er nimmt Anrufe von Kunden entgegen, die ein Problem mit der gelieferten Ware haben. In zehn bis 20 Prozent der Fälle sind die Kunden sehr unfreundlich. Das geht so weit, dass sie den Callcenter-Mitarbeiter anschreien. Der muss darauf trotzdem freundlich reagieren, sonst ist er seinen Job los. Viele können mit dieser Situation nicht umgehen, sagt Thomas Seidel: "Viele lassen sich krank schreiben, weil sie es nicht hinkriegen. Sie überbrücken dann eine ganze Zeit, bis sie im Endeffekt raus fliegen."
Und das geht schnell. Denn: Callcenter-Mitarbeiter müssen funktionieren. Rechte haben sie kaum. Catrin Schmidt, leitende Angestellte in einem deutschen Callcenter mit knapp 1000 Mitarbeitern, erzählt: "Wenn das Wort Gewerkschaft fällt, dann ist der Mitarbeiter schneller draußen als er denken kann."
Miserable Arbeitsbedingungen
Die Arbeitsbedingungen in vielen deutschen Callcentern sind miserabel. In Großraumbüros arbeiten bis zu 800 Mitarbeiter. Acht Stunden und mehr müssen die Agenten, wie die Mitarbeiter genannt werden, telefonieren. Sie sind einer permanenten Kontrolle durch das Mithören des Teamleiters ausgesetzt. Auch auf den Wochenendzuschlag wird verzichtet.
Thomas Seidel verdient 840 bis 912 Euro netto - je nach dem, wie viele Nachtschichten er übernimmt. Für den Lebensunterhalt ist das nicht ausreichend. Seine Partnerin unterstützt ihn. Deutsche Gewerkschaften fordern nun 9,50 Euro Mindestlohn für Callcenter-Mitarbeiter. Catrin Schmidt begrüßt dies: "Weil wesentlich mehr Geld verdient wird, als das, was beim Menschen ankommt. In meinen Augen ist es eine massive Ausbeutung." Vom ökonomischen Standpunkt aus stelle sich aber die Frage der Finanzierung. Ein Mindestlohn würde dazu führen, dass einige Firmen pleite gehen.
Mindestlohn im Gespräch
Ein Grund, warum in Deutschland bisher der flächendeckende Mindestlohn abgelehnt wurde. Ein neuer Ausschuss, der Mindestlohn-Hauptausschuss, soll nun über einzelne Branchen entscheiden. Die deutsche Fleischindustrie, das Gastgewerbe und Callcenter sind im Gespräch. Die Firmen selbst suchen den Ausweg in Billiglohnländern. Der Kunde weiß daher nicht, mit welchem Land er gerade telefonisch verbunden ist. Es kann Thailand sein, oder Indien, oder auch ein Land aus Osteuropa. Das Lohnniveau spielt die entscheidende Rolle.
"Emotionale Dissonanz"
In Deutschland verdienen Callcenter-Mitarbeiter im Durchschnitt 5,40 Euro die Stunde - brutto. David Riha, Diplompsychologe und Autor des Buches "Beruf, Stress und Gesundheit", ist der Meinung, dass diese Tätigkeit auf jeden Fall höher entlohnt werden müsste, weil sie anstrengend sei und in der Regel auch gesundheitliche Folgen habe. Studien zeigen, "dass emotionale Dissonanz häufig mit Suchtmittelmissbrauch, mit Kopfschmerzen, häufigen Erkrankungen und mit emotionaler Erschöpfung einher geht."
Anderthalb Jahre bleiben Agenten im Schnitt. Danach sind sie ausgebrannt, werden gekündigt oder kündigen selber. Der Agent Thomas Seider wünscht sich, "dass die Agenten als Menschen behandelt werden."
Autorin: Annegret Faber
Redaktion: Zhang Danhong