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EU ohne Motor vor Trumps Amtsantritt

6. Januar 2025

Deutschland und Frankreich haben keine stabile Regierung, wenn Donald Trump sein Amt als Präsident antritt. Hinzu kommen massive Probleme in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

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Berlin  | Staatsbesuch von Frankreichs Präsident Macron
Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Schon lange vor seinem Amtsantritt am 20. Januar 2025 hat Donald Trump den Europäern gedroht. Er werde ihre Produkte mit hohen Zöllen belegen, die Unterstützung für die Ukraine reduzieren und die Finanzierung des Militärbündnisses Nato neu diskutieren.

Angesichts der kommenden Turbulenzen wäre es für die 27 Länder der Europäischen Union (EU) wichtig, Einigkeit zu demonstrieren und mit einer Stimme zu sprechen. Doch wenn Trump Präsident wird, haben Deutschland und Frankreich keine stabile Regierung.

Die beiden Länder werden oft als "Motor der EU" bezeichnet - sie haben die meisten Einwohner und die höchste Wirtschaftsleistung in der Union.

Regierungen ohne Mehrheit in beiden Ländern

In Deutschland besteht die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz aus Sozialdemokraten und Grünen. Sie hat im Parlament keine Mehrheit mehr. Erst die Neuwahl am 23. Februar 2025 könnte wieder für stabile Verhältnisse sorgen.

Laut den Umfragen wird keine Partei die absolute Mehrheit erzielen, es gilt als sicher, dass es nach der Wahl zu Koalitionsverhandlungen kommt. Alles in allem werden nach Trumps Amtsantritt wohl mindestens zwei Monate vergehen, bis Deutschland eine handlungsfähige Regierung hat.

Deutschland Berlin 2024 | Kanzler Scholz Vertrauensabstimmung im Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz am 16. Dezember 2024, als ihm der Bundestag das Vertrauen entzogBild: Lisi Niesner/REUTERS

In Frankreich wird sich die Phase der Instabilität noch länger hinziehen: Frühestens im Juli 2025 darf laut Verfassung neu gewählt werden. Bis dahin gelten die unklaren Mehrheitsverhältnisse, die die letzte Wahl im Juli 2024 hervorgebracht hat.

In der Nationalversammlung gibt es drei große Blöcke, von denen keiner eine regierungsfähige Mehrheit hat: der rechtspopulistische Rassemblement National (RN, deutsch etwa: Nationale Sammelbewegung), das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP, deutsch: Neue Volksfront) und in der Mitte die Partei von Staatspräsident Emmanuel Macron, Ensemble pour la République (Ensemble, deutsch: Gemeinsam für die Republik) sowie deren Verbündete.

"Die Lage ist hoch instabil. Es gibt keine Mehrheit im Parlament. Und die drei Blöcke wollen nicht zusammenarbeiten", sagt Claire Demesmay im DW-Gespräch. Die Politologin ist Professorin am Institut d'études politiques de Paris (Science Po) und Forscherin am Centre Marc Bloch, dem deutsch-französischen Zentrum für Sozialwissenschaften in Berlin.

In Deutschland würde man nun versuchen, eine Koalition zu schmieden, so Demesmay. "Aber in Frankreich gibt es keine Kultur der Kompromisse. Die politische Kultur Frankreichs ist sehr konfrontativ. Das macht es sehr schwierig, eine Regierungsmehrheit zu finden."

Streit ums Geld in beiden Ländern

Zuletzt ist der konservative Premierminister Michel Barnier am Versuch gescheitert, einen Haushaltsentwurf durchs Parlament zu bringen. Seine Regierung stürzte am 4. Dezember, als ihm die Abgeordneten das Vertrauen entzogen. Am 13. Dezember ernannte Präsident Macron den Zentristen Francois Bayrou zum Premierminister und beauftragte ihn, eine neue Regierung zu bilden.

Frankreich Paris 2024 | François Bayrou bei Amtsübernahme als neuer Premierminister
Michel Barnier (links) scheiterte nach nur drei Monaten im Amt, François Bayrou ist sein Nachfolger als PremierministerBild: BERTRAND GUAY/REUTERS

Auch in Deutschland zerbrach die Regierung an einem Streit über den Haushalt. Somit gehen beide Länder, Frankreich und Deutschland, ins neue Jahr, ohne einen Haushalt verabschiedet zu haben.

"Was die Lage noch verschärft: Bei den Staatsfinanzen fahren die beiden größten Volkswirtschaften der EU einen komplett gegensätzlichen Kurs", sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für die Eurozone bei der ING-Bank, im Gespräch mit der DW.

Frankreich hat zu hohe Schulden und müsste sparen, Deutschland dagegen müsste mehr Geld ausgeben und in seine marode Infrastruktur investieren. "Frankreich müsste ein bisschen deutscher werden und Deutschland etwas mehr französisch", so Brzeski.

Schulden und Schuldenbremse

Nach Griechenland und Italien hat Frankreich inzwischen die dritthöchste Staatsverschuldung in der Eurozone, während Deutschland nur knapp die von der EU festgelegte Obergrenze überschreitet.

Auch bei den Haushalten könnten die Unterschiede nicht größer sein. In Deutschland liegt das Defizit unterhalb der EU-Obergrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung.

Das liegt auch an der sogenannten Schuldenbremse. Diese Regel im deutschen Grundgesetz setzt der Neuverschuldung enge Grenzen. Zu enge Grenzen, sagen die Gegner der Schuldenbremse und fordern eine Lockerung. Dafür aber ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im kommenden Bundestag nötig.

In Frankreich kämpft der neue Premier Bayrou mit denselben Problemen wie sein Vorgänger Barnier. Der wollte mit einem Mix aus Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen rund 60 Milliarden Euro einsparen, denn das Loch im französischen Haushalt ist gewaltig.d

Ende 2024 erreichte es Prognosen zufolge sechs Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist doppelt so hoch, wie die Regeln für Euro-Länder erlauben. Frankreich befindet sich deshalb bereits in einem Defizit-Verfahren und muss der Europäischen Kommission regelmäßig berichten, wie es sein Haushaltsloch zu stopfen gedenkt.

Bayrous Dilemma: Um die EU-Regeln für Euroländer einzuhalten, muss er sparen. Doch um einen Sparhaushalt durchs Parlament zu bringen, braucht er eine Regierung mit solider Mehrheit. Die aber wird es bis mindestens Sommer 2025 nicht geben. "Das ist die Quadratur des Kreises", sagt Claire Demesmay.

Frankreichs neuer Finanzminister Eric Lombard hat das Sparziel der Vorgängerregierung Anfang Januar gesenkt - statt 60 Milliarden will er nun rund 50 Milliarden Euro einsparen. Ob er dafür eine Mehrheit in der Nationalversammlung findet, ist noch offen.

Die Reaktion der Finanzmärkte auf das Dilemma war schon Ende 2024 deutlich. Der sogenannte Risikoaufschlag, den Frankreich für seine Staatsschulden zahlen muss, stieg zwischenzeitlich auf den höchsten Stand seit der Euro-Schuldenkrise, die die Währungsunion ab 2010 an den Rand des Zusammenbruchs brachte.

Der Risikoaufschlag drückt aus, wie Geldgeber die Fähigkeit eines Landes beurteilen, seine Schulden pünktlich zurückzuzahlen. Frankreich wurde sogar schlechter eingestuft als Griechenland, das vor einigen Jahren noch das größte finanzpolitische Sorgenkind der der EU war.

Herabstufung durch Ratingagentur

Mitte Dezember kam der nächste Schlag: Die Ratingagentur Moody's senkte ihre Bewertung für Frankreichs Bonität, was die Aufnahme neuer Schulden teurer macht. Frankreichs "politische Fragmentierung", so Moody's zur Begründung, schwäche seine Haushaltslage und verhindere, dass umfassende Maßnahmen ergriffen werden, um das große Defizit zu reduzieren.

Auch die französische Wirtschaft läuft nicht mehr rund. Für das laufende Jahre erwartet die Zentralbank zwar noch ein Wachstum von 1,1 Prozent. Für 2025 jedoch senkte sie ihre Prognose auf 0,9 Prozent und begründete dies mit "gestiegener Unsicherheit" in und außerhalb Frankreichs.

In Deutschland würde man sich über solche Werte schon freuen. Hier erwartet die Bundesbank für 2024 ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent. Es wäre das zweite Rezessionsjahr in Folge.

Nur wenig besser sieht es demnach 2025 aus. Ein hauchdünnes Plus von 0,2 Prozent sieht die Bundesbank. Anders gesagt: die deutsche Wirtschaft stagniert. Der größte Unsicherheitsfaktor sei "ein möglicherweise global zunehmender Protektionismus", schreiben die Zentralbanker.

Streitapfel Freihandel

Aus deutscher Sicht könnte ein neues Freihandelsabkommen da für etwas Luft sorgen - etwa zwischen der EU und den südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay. Das sogenannten Mercosur-Abkommen würde die größte Freihandelszone der Welt schaffen mit rund 700 Millionen Menschen.

Im Dezember hat die EU-Kommission die Verhandlungsphase beendet, noch ist offen, ob und wie die das Abkommen von den Mitgliedsstaaten ratifiziert wird.

Sicher ist nur, dass Deutschland und Frankreich hier nicht am selben Strang ziehen. Frankreich hat bereits deutlich gemacht, dass es gegen ein umfassendes Freihandelsabkommen ist.

Frankreich | Proteste der Landwirtschaft
Proteste gegen das Mercosur-Freihandelsabkommen in der französischen Stadt Grenoble am 18. November 2024Bild: Previtali Leo/ABACA/IMAGO

"Die Handelsfrage ist ein klassischer Streitapfel zwischen Deutschland und Frankreich", sagt die Politologin Demesmay. "In Frankreich steht man großen Handelsabkommen viel kritischer gegenüber als in Deutschland. Da herrscht das Gefühl, die Zukunft des Landes nicht mehr in den eigenen Händen zu haben - und das ist politisch gefährlich."

Wie umgehen mit Trump?

Fehlende Einigkeit könnte zum Problem werden, wenn Donald Trump wieder US-Präsident ist. Schon während seiner ersten Amtszeit (2017-2021) wirkten die Europäer oft wie Getriebene, die nicht wussten, wie sie mit den ständig neuen Ankündigungen und Tweets des Präsidenten umgehen sollten.

Die Europäer seien heute zwar besser vorbereitet als vor acht Jahren, sagt ING-Chefvolkswirt Brzeski. Aber sie wären gut beraten, wenn sie nicht nur reagieren auf das, was Trump macht. "Stattdessen sollten sie sich um ihre Binnenwirtschaft kümmern, in ihre Infrastruktur investieren und Strukturreformen vorantreiben."

Eine enge Abstimmung ist für Brzeski dabei wesentlich: "Aus der Vergangenheit wissen wir: Wenn die beiden größten Volkswirtschaften nicht zusammenarbeiten und das europäische Projekt voranbringen, wird der Fortschritt in Europa sehr langsam sein."


Der Artikel wurde am 7.1.2025 veröffentlicht und seitdem aktualisiert.

Trump droht der Welt mit Zöllen

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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