EU-USA-Gipfel soll ein Zeichen setzen
20. November 2010Für reine Fototermine hat der US-amerikanische Präsident Barack Obama keine Zeit, jedenfalls nicht für die Europäer. Das wurde klar, als das erste geplante transatlantische Gipfeltreffen in diesem Mai in Madrid kurzerhand abgesagt wurde. Ein zweites Mal wollte man sich solch einen diplomatischen Affront nicht leisten, und so findet in Lissabon nun am Samstag (20.11.2010) also ein europäisch-amerikanischer Gipfel statt - am Rande des NATO-Treffens und nur für wenige Stunden. Denn um die transatlantischen Beziehungen war es schon einmal besser bestellt, lautet die Kritik vor allem aus konservativen Kreisen in Washington.
Sally McNamara, Europaexpertin der Heritage-Foundation, steht nicht allein, wenn sie sagt, Präsident Obama sei weniger an Europa interessiert als sein Vorgänger George W. Bush. Seit dem Zweiten Weltkrieg, erklärt sie im Interview mit dw-world.de, seien die Kontinente verbunden gewesen, habe Europa für die US-Amerikaner immer eine besondere Bedeutung gehabt, "Präsident Obama scheint diese Verbindung jedoch nicht zu haben". Er sehe sich die Welt an, "und für ihn ist offenbar der Pazifik die Nummer eins, der Nahe Osten die Nummer zwei, und Europa kommt mit einigem Abstand an dritter Stelle", erklärt McNamara.
US-Regierung betont gute Zusammenarbeit
Die US-Regierung tritt diesem Eindruck zumindest offiziell entgegen. Die USA und Europa drifteten nicht auseinander, im Gegenteil, sagt Phil Gordon, stellvertretender Staatssekretär im US-Außenministerium. In der Vergangenheit, erklärte er auf einer Pressekonferenz mit ausländischen Journalisten, habe es zum Beispiel bei den Themen Irak, Nahost und Iran keine gemeinsame strategische Linie gegeben. Aber: "Wenn Sie sich die aktuellen Themen ansehen, dann gibt es, glaube ich, jetzt eine bemerkenswerte Einigkeit in der Allianz." Die USA und die EU seien "weit entfernt davon, auseinanderzudriften", sondern handelten gemeinsam. Gordon nennt als Beispiele den Atomstreit mit dem Iran, die Friedensbemühungen im Nahen Osten und den Einsatz in Afghanistan. Das schließe nicht aus, dass man auch andere Teile der Welt genau beobachte. Aber die USA seien "sehr zufrieden" mit dem Grad der Zusammenarbeit.
In Bezug auf die direkte Kooperation mit den Europäern ist klar: Die Strukturen in Brüssel, geschaffen mit dem Vertrag von Lissabon, müssen sich erst noch festigen. Bei dem Gipfel am Wochenende wird Europa zum ersten Mal von den beiden europäischen Präsidenten vertreten: von Herman Van Rompuy, dem Präsidenten des Europäischen Rates, und von Manuel Barroso, dem Präsidenten der Europäischen Kommission. Mit ihnen trifft Präsident Obama zusammen. Um drei Bereiche soll es in den Gesprächen gehen: wirtschaftliche Zusammenarbeit (die derzeitige Finanzkrise von Portugal und Irland steht da ganz oben auf der Agenda), die Sicherheitspolitik und die Kooperation in globalen Fragen.
Gemeinsame Interessen
Vor allem bei der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik werde deutlich, wie sehr die USA und die EU aufeinander angewiesen seien, erklärt Liz Sherwood-Randall, Direktorin für Europäische Zusammenarbeit im Weißen Haus, in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. Keine Seite habe ein Interesse an Handelsbarrieren, denn: "Zwischen den USA und der EU fließen jährlich vier Billionen Dollar an Handel und Investitionen in beide Richtungen, ungefähr jeder zehnte Arbeitsplatz wird durch diese Wirtschaftsbeziehung geschaffen." Für beide Seiten sei sie "von zentraler Bedeutung". In Lissabon soll deswegen auch dem etwas in Vergessenheit geratenen Transatlantischen Wirtschaftsrat (TEC) wieder Leben eingehaucht werden. Er war im April 2007 unter der deutschen Ratspräsidentschaft gegründet worden, um Hemmnisse für die Wirtschaft abzubauen und Investitionen zu fördern. Regeln sollen auf ein Minimum beschränkt und Normen soweit wie möglich gegenseitig anerkannt werden.
Die jüngsten verhinderten Terroranschläge durch Paketbomben aus dem Jemen, von denen eine in Deutschland umgeladen und in Großbritannien entdeckt wurde, sowie die verstärkten Warnungen vor Terroranschlägen in Deutschland machen deutlich, wie wichtig die transatlantische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheitspolitik ist. Den Austausch von Flugpassagierdaten etwa hat man inzwischen geregelt, auch wenn Europäer und US-Amerikaner sich vor allem beim Thema Datenschutz schwer tun, eine gemeinsame Linie zu finden. Gesprächsthema in Lissabon sei, im Vorfeld der Klimakonferenz in Cancún, auch der Klimaschutz sowie die Kooperation bei der Entwicklungshilfe, sagt Liz Sherwood-Randall: "Europa und die USA stellen gemeinsam 80 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe und das Hauptziel ist es, unsere Anstrengungen zu koordinieren, damit wir keine Doppelarbeit leisten und mehr Ertrag für jeden Dollar und jeden Euro bekommen, den wir ausgeben." Diesen Ansatz wird vor allem die Bundesregierung freuen, verfolgt sie doch die gleiche Strategie.
Auch Europa ist gefragt
Doch gerade die Deutschen, sagt Stephen Szabo vom German Marshall Fund in Washington, DC, müssten aufpassen, dass sie sich mit den anderen europäischen Staaten abstimmen und keinen Alleingang veranstalten, beispielsweise in der Finanzpolitik. "Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Deutschen den USA sagen, dass dies nicht der Fall ist, und dass Deutschland dem europäischen Gedanken verpflichtet bleibt", erklärt er im Interview mit dw-world.de. Das Entscheidende ist aber, meint auch Szabo, dass das Treffen überhaupt stattfindet. Denn die US-Regierung registriere sehr wohl den Vorwurf, sie vernachlässige Europa. Der kurze Gipfel sei daher "eine einfache, symbolische Geste, die nur zwei Stunden dauert". Die Botschaft, meint Szabo, sei dagegen eindeutig: "Europa ist für uns noch wichtig und wir hoffen, dass der Prozess, der mit dem Lissabon-Vertrag begonnen wurde, Erfolg hat."
Doch auch die Europäer sind gefragt angesichts der innenpolitischen Schlappe, die der US-Präsident bei den Kongresswahlen erlitten hat, sagt Szabo: "Es ist wichtig, dass auch die Europäer klar machen, dass sie trotz mancher Bedenken zu schätzen wissen, welche Richtung die Außenpolitik der USA in den vergangenen zwei Jahren eingeschlagen hat." Sie müssten signalisieren, dass sie keine Kehrtwende wollen zu der konservativeren Außenpolitik à la George W. Bush. Schließlich sei das transatlantische Verhältnis unter dem vorigen Präsidenten vor allem wegen des Irak-Kriegs erheblich belastet gewesen. Und auch die konservative Sally McNamara meint, dass Präsident Obama nicht allein Schuld an der transatlantischen Abkühlung ist. Zum einen, erklärt sie, habe Obama die extrem hohen Erwartungen an ihn einfach nicht erfüllen können. Zum anderen hätte sich auch der US-Präsident mehr Unterstützung von den Europäern versprochen, beispielsweise beim gemeinsamen Einsatz in Afghanistan.
Die Europäer hätten immer vollmundig versprochen, sie seien ein ernstzunehmender Partner, der auch ohne die USA auskommen könne, aber: "Das stimmt gar nicht. Die EU kann die USA nicht einfach ersetzen." Das habe sich zum Beispiel bei der Erdbebenkatastrophe in Haiti gezeigt, sagt McNamara, wo die USA den Großteil der Hilfe geleistet hätten. Und auch in Afghanistan stellen noch immer die USA den Hauptteil der Truppen. Doch Präsident Obama nehme Europa zunehmend beim Wort und deswegen sei es an den Europäern zu zeigen, dass sie der Verantwortung gewachsen sind, meint McNamara. Denn in einem sind sich die Experten einig: Beide Seiten sind mehr denn je aufeinander angewiesen.
Autorin: Christina Bergmann, Washington
Redaktion: Oliver Pieper / Martin Schrader