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Faktencheck: Magdeburg-Attentäter rief nicht "Allahu Akbar"

Silja Thoms
23. Dezember 2024

In sozialen Medien kursiert das Gerücht, der Magdeburg-Attentäter habe bei seiner Festnahme "Allahu Akbar" gerufen. Ein virales Video soll das belegen. Ein DW-Faktencheck zeigt: Diese Behauptung ist falsch.

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Foto von der Festnahme des Attentäters in Magdeburg
In den sozialen Medien kursiert die Behauptung, der Täter habe bei seiner Festnahme "Allahu Akbar" gerufenBild: TNN/dpa/picture alliance

Die Tat schockte Deutschland und die Welt: Am Freitag raste ein 50-jähriger Arzt ein Auto mit hoher Geschwindigkeit in eine Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Fünf Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben, 200 Personen wurden verletzt. Einiges ist bereits über den Todesfahrer Taleb A. bekannt, trotzdem werden in den sozialen Medien zahlreiche Falschbehauptungen zu der folgenschweren Fahrt verbreitet. 

Behauptung: In den Sozialen Medien wird behauptet, dass der Attentäter in Magdeburg bei seiner Festnahme "Allahu Akbar" ("Gott ist groß") gerufen haben soll. Belegen soll dies ein Video, dass allein in einem viralen Post auf der Plattform X 3,7 Millionen Mal angesehen wurden. Die Behauptung verbreitete sich in mehreren Sprachen und wurde auch in weiteren Plattformen wie auf Facebook geteilt.  

DW-Faktencheck: Falsch

Faktencheck Infografik Magdeburg Falsch EN

Der Täter Taleb A. hat bei seiner Festnahme nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg nicht "Allahu Akbar" gerufen, wie in den sozialen Medien behauptet wurde. Er liegt bei seiner Festnahme im Video auf dem Boden - vor ihm steht ein Polizist, der ihn auffordert, liegen zu bleiben. Im Hintergrund sind weitere Personen zu hören, die "Terrorist" sowie die deutsche Beleidigung "Dummer *****sohn" rufen.

Kurz nach dieser Beleidigung sind weitere Wörter in einem Stimmengewirr zu hören, die allerdings nicht eindeutig zu verstehen sind. Ein Arabisch sprechender Journalist der DW bestätigt, dass er die arabischen Worte "Allahu Akbar" an keiner Stelle hören konnte. Auch in einem anderen Video, das von der gegenüberliegenden Perspektive aufgenommen wurde, ist der religiöse Ausruf nicht zu hören.   

Klar ist, dass der am Boden liegende Täter nichts dergleichen sagt. Die Polizei in Magdeburg bestätigte auf schriftliche Anfrage der DW, dass ihr keine Erkenntnisse über eine solche Äußerung vorliegen - weder vom Täter noch von umstehenden Passanten. Laut Medienberichten soll es aber tatsächlich Personen gegeben haben, die den Anschlag bejubelt haben. Nach Informationen der Polizei werde gegen vier Personen wegen des Verdachts der Billigung von Straftaten ermittelt. Ob bei diesen Personen auch der Ausruf "Allahu Akbar" fiel, ist nicht bekannt.  

Mehrere Polizisten stehen mit Gewehren am Weihnachtsmarkt in Magdeburg
Der Polizei in Magdeburg liegen keine Erkenntnisse über den Ausruf "Allahu Akbar" vorBild: Heiko Rebsch/dpa/picture alliance

Video-Analyse: Beschimpfungen stammen nicht vom Täter 

Es kann allgemein hilfreich sein, sich das Originalvideo anzusehen, denn der Account hat das Video der Festnahme nur in einer verpixelten Version veröffentlicht. Hier ist also nicht zu sehen, wer in welchem Moment spricht. In einem Video der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP ist die Szene der Festnahme unverpixelt zu sehen. Auch hier: Der Täter liegt auf dem Boden und wird aufgefordert liegen zu bleiben. Zwei Mal nickt er und sagt dabei: "Ok." Einmal ruft der Polizist: "Keine Bewegung" und er fordert den Mann am Boden mehrfach auf liegenzubleiben. Taleb A. schüttelt hier eindeutig erkennbar den Kopf und bestätigt dann: "Keine Bewegung." Bisher hat er bei jeder Aussage auch eine Kopfbewegung gemacht. Als die Beleidigungen ertönen, bewegt sich der Kopf des Täters nicht.

Außerdem ist die Stimme des Täters sehr leise. Die Beschimpfungen sind lauter. Es ist anzunehmen, dass es sich um umstehende Personen handelt, die den Täter beschimpfen. Wir haben uns das Video mit einem Videobearbeitungsprogramm angesehen. Die Lautstärke der Beschimpfungen ist wesentlich höher als die der Stimme des Täters. Es handelt sich also nicht um dieselbe Stimme.   

Rechtsextreme Desinformation über den Täter 

In den Tagen nach der Todesfahrt in Magdeburg verbreiteten Nutzer zahlreiche Behauptungen und Falschinformationen über den Täter. Nach Recherchen der ARD Faktenfinder waren dabei vor allem rechte bis rechtsextreme Akteure aktiv, die unter anderem behaupteten, der Täter stamme aus Syrien und sei während der Asylkrise 2015/16 nach Deutschland gekommen. Dabei hatte die Polizei noch am Abend des Anschlags bekannt gegeben, dass es sich bei der tatverdächtigen Person (...) um einen 50-jährigen Mann aus Saudi-Arabien handeln soll.  

Ein Polizist ist von hinten zu sehen, wie er über den Weihnachtsmarkt läuft
Der Todesfahrer von Magdeburg befindet sich in UntersuchungshaftBild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Über Taleb A. ist bisher auch bekannt, dass er als Muslim erzogen wurde, sich jedoch von seiner Religion lossagte und sich zumindest seinen öffentlichen Äußerungen in den sozialen Medien zufolge zum aktiven Gegner des Islam und Kritiker der schlechten Behandlung von Frauen wandelte, vor allem in seinem Heimatland. In den sozialen Medien, vornehmlich auf der Plattform X, postete und repostete er regelmäßig überwiegend antiislamische Inhalte. Er beglückwünschte etwa Muslime, die ihrem Glauben den Rücken kehrten. Dass eine Person, die sich von seiner Religion losgesagt hat, den religiösen Ausruf "Allahu Akbar" benutzt, ist unwahrscheinlich.

Ein Grund dafür, dass manche Menschen dennoch "Allahu Akbar" hören, könnte sein, dass dies bereits im Tweet schriftlich angekündigt oder sogar absichtlich als Untertitel in das Video geschnitten wurde. Experten der TU Dresden erklären das Phänomen so: "Unsere Überzeugungen haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie wir die Realität wahrnehmen", so Psychologe Alejandro Tabas. Das Fazit ihrer Studie lautet: Menschen hören, was sie zu hören erwarten. Gerade in Gefahrensituationen könne es nach Katharina von Kriegstein, Professorin für Kognitive und Klinische Neurowissenschaften an der TU Dresden, dazu kommen, dass das "interne Modell nicht mehr ausreichend mit der Wirklichkeit abgeglichen wird", so Kriegstein gegenüber der DW. Wenn wir also schon vorher davon überzeugt sind oder erwarten, dass dieser Ausdruck im Video vorkommt, ist es wahrscheinlicher, dass wir ihn auch zu hören glauben. Nur entspricht die Erwartung oder Überzeugung nicht immer der Realität.

Torsten Neuendorff und Ahmed Abdallah haben zu diesem Artikel beigetragen.  

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