Feuerwehr und Wurstrezept
28. November 2002Am Westufer des Llanquihue-Sees, direkt gegenüber dem ewig verschneiten Kegel der Vulkans Osorno, liegt die kleine Stadt Llanquihue. 40 000 Einwohner zählt sie, sie wirkt still, fast ein wenig verschlafen. Die traditionellen Holzhäuser sehen bescheiden aus. Kaum Verkehr auf den Straßen, stattdessen struppige Hunde in den Gassen. Unwirklich steht die glitzernde Chrom- und Glasfassade der Wurstfabrik der Brüder Mödinger in dieser Kulisse.
Die ersten
Die Mödingers gehören zu den Einwanderern der ersten Stunde. Sie kamen aus dem schwäbischen Dorf Strümpfelbach bei Stuttgart. Noch heute wird Tradition in der Familie hochgehalten. Obwohl er in Chile geboren und aufgewachsen ist, hat Viktor Mödinger seine Ausbildung als Metzger in Deutschland gemacht. Mit seinem Bruder leitet er heute das Familienunternehmen, das 1911 gegründet wurde.
440 Arbeiter beschäftigt der Betrieb. 500 Tonnen Wurstwaren werden monatlich produziert, dafür schlachtet der Betrieb täglich zehn Rinder. Das Unternehmen ist vollkommen ausgelastet. Für ein Familienunternehmen eine gute Bilanz.
Die Tradition lebt
Zu den Traditionen, die Mödinger pflegt, gehört ein reges Vereinsleben: er unterstützt die deutsche Feuerwehr in Llanquihue, gehört dem Sportverein an. Die sozialen Bindungen unter den Deutsch-Chilenen, wie sie sich bezeichnen, sind bis heute sehr eng, und das nicht von ungefähr: "Früher gab es keine Versicherungen und nichts. Die Leute standen da und irgendwie mussten sie vorwärts, es gab ja keine andere Möglichkeit. Und das hat die Deutschen unter sich gebunden."
Victor Mödinger lebt gerne in Chile: vieles sei in Deutschland aber einfach besser organisiert. Zum Beispiel das Ausbildungssystem: Deswegen hat auch sein Sohn das Metzger-Handwerk in Deutschland gelernt.
Mit Weitsicht nach vorne
Seit sechs Jahren bildet auch Mödinger in seiner Fabrik aus: "Ich habe 42 Schüler hier, die eine Lehre machen. Nicht genau wie in Deutschland, aber zwei Tage in der Wochen arbeiten sie, drei Tage gehen sie in die Schule." Noch ringt er mit dem Bildungsministerium über die Ausbildungspläne. Aber als Unternehmer hat er Weitblick.
Die weltwirtschaftlichen Veränderungen gehen ihm aber entschieden zu schnell. Im Mai dieses Jahre hat Chile mit der EU ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet. Das soll den europäischen Markt für chilenische Exporte öffnen. Mödinger allerdings fürchtet, innerhalb der EU nicht bestehen zu können. Mulmig wird ihm auch, wenn er an die geplante amerikanische Freihandelszone FTAA denkt, die 2005 in Kraft treten soll. Er fürchtet die Übermacht der USA.
Auch die Wurst ist in der Krise
Seine Geschäftszahlen erklären seine Skepsis. Seit vier Jahren konnte die Produktion nicht mehr gesteigert werden. Schon 1998 habe die Wirtschaftskrise angefangen. Davor war er Zuwachsraten zwischen 7 und 15 Prozent gewohnt.
Aber Mödinger ist pfiffig und setzt jetzt auf ein neues Marketingkonzept: Betriebsführungen sollen Touristen anlocken. Die Arbeiter sind schon damit beschäftigt, einen kleinen Souvenirladen einzurichten. Zum Abschluss der Führungen will Mödinger die Besucher mit einem Schmankerl verwöhnen: Wurst- und Schinkenspezialitäten, hausgemacht. Natürlich nach deutschem Rezept.