Fahimeh Farsaie: "Mit Humor über Flucht schreiben"
4. Februar 2016"Ich will Deutsche werden", verkündet Sima eines Dienstagabends am Esstisch in ihrer Kölner Wohnung. Und weil sie als Mutter in ihrer iranischen Familie das Sagen hat, kommen von da an bei den Azads neben Kebab auch Würstchen und Senf auf den Tisch – da kann der Ehegatte sein persisch-patriotisches Ehrgefühl noch so sehr in die Gegenwaagschale werfen.
Fahimeh Farsaie ist mit ihrem schon 2006 veröffentlichten Roman "Eines Dienstags beschloss meine Mutter Deutsche zu werden" zu Gast im Albert-Schweitzer-Gymnasium in Hürth, einer Kleinstadt bei Köln. Es ist Freitagnachmittag, die letzte Schulstunde, ehe die Schüler der höheren Klassen ins Wochenende entlassen werden. Etwa 70 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 haben sich in der Aula versammelt. Aufmerksam verfolgen sie die Lesung - Auszügen aus Farsaies Buch, das nach seinem Erscheinen vor knapp zehn Jahren als erster "Einbürgerungsroman" Deutschlands gewürdigt wurde.
Autoreninitiative zum Thema Flucht
Flucht und Integration, das sind die Themen, um die es an diesem Nachmittag geht. Die 1952 geborene iranische Autorin liest nicht zum ersten Mal vor Schülern. Wenige Tage zuvor war sie schon in der Kölner Europaschule; insgesamt wird sie in ihrer Rolle als Mittlerin zwischen Welten acht Mal vor Schulklassen stehen. Fahimeh Farsaie ist die erste Autorin, die einer Initiative des Kinderhilfswerks UNICEF folgt. Mirjam Brose, Leiterin der organisatorisch verantwortlichen UNICEF-Hochschulgruppe Köln, hebt das ehrenamtliche Engagement der Schriftstellerin bei diesem Pilotprojekt hervor. Andere sollen in Nordrhein-Westfalen und später auch in weiteren Bundesländern folgen: Schriftsteller, die in Schulen gehen, um mit ihren Texten und im Gespräch mit Jugendlichen das Verständnis für die Situation von Flüchtlingen zu fördern.
Einsatz für die Rechte Andersdenkender
Fahimeh Farsaie ist ausgebildete Juristin, doch ihr Interesse, Dinge genau zu beobachten und zu erzählen, hat sie schon früh zur Autorin und Journalistin werden lassen. Anfangs nicht zu ihrem Vorteil: 18 Monate lang saß sie unter dem Schah-Regime wegen der Veröffentlichung einer Liebesgeschichte im Iran im Gefängnis. "Die Veröffentlichung einer Erzählung gegen den Krieg, in der es vordergründig um Liebe ging, war der Auslöser meiner Verhaftung", berichtet die Schriftstellerin.
Als das Schah-Regime 1979 von Ajatollah Khomeini abgelöst wurde, begeisterte sich Farsaie für die Revolution und hoffte auf demokratische Entwicklungen im Iran. Von London, wo sie als Korrespondentin für die große iranische Tageszeitung "Keyhan" arbeitete, kehrte sie in den Iran zurück, um sich an der neuen Bewegung zu beteiligen. "Ich schrieb Artikel, in denen ich mich für freie Meinungsäußerung und die Rechte Andersdenkender einsetzte", erzählt die Autorin. "Ganz am Anfang wussten wir nicht, was Khomeinis 'Islamische Revolution' und die 'Islamische Republik' überhaupt bedeuteten. Aber ich habe damals durchaus für diese Republik gestimmt, auch für eine Republik, die 'Islamisch' im Namen trug."
Damals wie heute: Fluchtursache Krieg
Doch das war ein Fehler, denn die Unfreiheit wurde unter dem neuen Regime nur noch größer. Die Revolutionsgarden übten eine strikte Herrschaft aus, und der jungen Fahimeh Farsaie drohte erneut die Verhaftung. Im Jahr 1983 floh die Autorin vor dem Khomeini-Regime. Und genau wie sie flüchten auch die Figuren in ihrem Buch vor politischen Repressalien, vor der Zensur, der drohenden Verhaftung und Gefängnisstrafen – und vor allem auch vor dem Krieg.
Der Roman, aus dem an diesem Freitag vorgelesen wird, ist stark autobiografisch. Vieles, das er beschreibt, hat seine Autorin selber erlebt. "Wie die Menschen heute flohen auch wir damals vor dem Krieg", verdeutlicht Farsaie, "dem Krieg zwischen Iran und Irak." Einige Passagen ihres Buchs schildern die Bombardierungen in der Erinnerung des fliehenden Mädchens. Er beschreibt die Flucht durch die Wüste, auf der sie wie Vieh transportiert werden und fast in einem brennenden Sandsturm umkommen. Trotzdem lachen die Schüler immer wieder, denn das Buch ist mit viel Humor geschrieben – eine freundliche Satire. Ein schweres Thema leicht zu machen, das sei der Trick, um ein breites Publikum zu erreichen, verrät die Autorin.
Parallelen zur Gegenwart
"Die Unsicherheit und die große Angst", beide verbindet die Situation der Flüchtlinge von damals mit der gegenwärtigen. "Dass man sich wehrlos fühlt und scheinbar nicht als Mensch betrachtet wird." Den Flüchtlingen, die heute nach Deutschland kommen, rät Farsaie, vor allem die Sprache zu lernen, um einen Zugang zur deutschen Gesellschaft zu finden, sich so schnell wie möglich zu integrieren.
Mehr als an generellen Fragen zum UNICEF-Thema "Flüchtlinge" sind die Schüler an ihrem persönlichen Schicksal nach ihrer Ankunft in Deutschland interessiert. "Ich habe eigentlich noch andere Fragen erwartet, mehr zur aktuellen Situation", wundert sich die Autorin in der Nachbetrachtung. "Die Schüler haben sich sehr für meinen Gefängnisaufenthalt interessiert. Das könnte bedeuten, dass die Hintergründe der Flucht für sie interessanter waren als die Verbindung zur Gegenwart."
Was sie sich damals gewünscht habe, fragt eine Schülerin. "Ich habe mir gewünscht, als normaler Mensch behandelt zu werden", sagt Fahimeh Farsaie. Eine Antwort, die durchaus die Brücke zur Gegenwart schlägt.
Fahimeh Farsai hat auf Deutsch insgesamt fünf Romane und Erzählbände veröffentlicht. "Eines Dienstags beschloss meine Mutter Deutsche zu werden" erschien 2006 im Ulrike Helmer Verlag, 2011 als Kindle Edition. In diesem Frühjahr wird das Buch aufgrund seiner erneuten Aktualität wiederaufgelegt.