Fortschritte bei Schlichtung zu Stuttgart 21
15. Oktober 2010Vom 22. Oktober an sollen die Befürworter und Gegner jeweils freitags alle Zahlen und Fakten erörtern. Das teilte der Vermittler Heiner Geißler am Freitag (15.10.2010) nach einem sechsstündigen Gespräch beider Seiten in Stuttgart mit. Als erstes Thema stehe die Bedeutung und die Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm auf der Tagesordnung. "Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir diese Schlichtung wollen", so das Resümee des ehemaligen CDU-Generalsekretärs, der damit einen ersten Erfolg verbuchen konnte.
Der erfahrene Mediator kündigte an, dass während der Schlichtungsgespräche Friedenspflicht herrsche. Das bedeute, dass während der Verhandlungen die Bauarbeiten nicht weitergeführt würden. Allerdings gebe es bei den Arbeiten am so genannten Grundwassermanagement eine Ausnahme. Der Kompromiss: Die Erdarbeiten dürfen fortgesetzt, Rohre verlegt und die Baustelle frostsicher gemacht werden. Im Gegenzug verzichtet die Bahn zunächst darauf, das Fundament zu betonieren.
Aktionsbündnis segnet Kompromiss ab
Mit der Verschalung und Zementierung des Fundaments solle erst begonnen werden, wenn die Friedenspflicht beendet sei. Diesem Kompromiss habe das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zugestimmt, sagte deren Sprecher Hannes Rockenbauch. Geißler nannte die Einigung einen "wichtigen Beitrag zur Befriedung".
Einen Wermutstropfen gab es nach der ersten Gesprächsrunde aber doch: Die Gruppe "Aktive Parkschützer" kritisierte den Kompromiss und stieg aus den Schlichtungsgesprächen aus. Sie zeigte sich enttäuscht von der andauernden Blockadehaltung der Projektträger. "Bahn und Politik wollen die Bevölkerung mit Angeboten abspeisen, die unannehmbar sind", teilten die Aktivisten nach den Gesprächen mit. Für das Grundwassermanagement sollten massive Erdarbeiten auf dem nach ihrer Ansicht "illegal gerodeten Bereich im Mittleren Schlossgarten durchgeführt werden".
Geißler will mehr Öffentlichkeit
Nach Angaben Geißlers wurde ferner vereinbart, dass die künftigen Sitzungen aus dem Stuttgarter Rathaus nicht mehr hinter verschlossenen Türen stattfinden, sondern live im Internet oder auch im Fernsehen übertragen werden. Es solle dafür gesorgt werden, dass sich möglichst viele Bürger über den Fortgang der Gespräche informieren könnten.
Geißler sprach von einem guten Weg, um das technologisch anspruchsvolle Projekt der breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Die zusätzlich entstehenden Kosten werde das Land Baden-Württemberg übernehmen. Bis Ende November werde auch der Südflügel des Bahnhofs nicht weiter entkernt. Die Wasservorbereitungsarbeiten auf der Nordseite ruhten bis dahin. Es gebe keine weiteren Auftragsvergaben.
Hochrangige Gesprächsrunde
Für die Befürworter saßen unter anderem Ministerpräsident Stefan Mappus, Verkehrsministerin Tanja Gönner, Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (alle CDU) und der Bahnvorstand für Technik und Infrastruktur, Volker Kefer, am Tisch. Die "Stuttgart 21"-Kritiker wurden unter anderem von den Grünen-Politikern Winfried Kretschmann und Werner Wölfle sowie den Sprechern des Aktionsbündnisses gegen "Stuttgart 21", Hannes Rockenbauch und Gangolf Stocker, vertreten.
Seit Monaten protestieren Tausende Stuttgarter immer wieder gegen das mehr als vier Milliarden Euro teure Bauprojekt. Es sieht den Umbau des denkmalgeschützten Stuttgarter Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante ICE-Neubaustrecke nach Ulm vor.
Projekt ist Teil einer europäischen Achse
EU-Verkehrskommissar Siim Kallas unterstrich inzwischen die Bedeutung des Bauprojekts für Europa. "Die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Bratislava ist eine extrem wichtige transeuropäische West-Ost-Achse", sagte Kallas. Die EU-Kommission lege allergrößten Wert darauf, dass sie gebaut werde. Stuttgart 21 bilde dabei "ein Kernstück dieser Magistrale".
Wegen der massiven Proteste gegen Stuttgart 21 und andere Großprojekte fordert die deutsche Wirtschaft, die Einspruchsrechte der Bürger zu begrenzen. "Wir haben im weltweiten Vergleich eine einmalige Beteiligung von Bürgern und Verbänden", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel. "Manchmal müssen wir aber überlegen, ob das nicht zu viel und zu langwierig ist und es am Ende sogar mehr schadet als nützt."
Autor: Reinhard Kleber (rtr, afp, dpa, dapd)
Redaktion: Sabine Faber