Fans kämpfen gegen Antisemitismus
27. Februar 2019Auch wenn Antisemitismus in deutschen Stadien seltener geworden ist, ganz verschwunden ist er nicht. "Als ich einmal bei einem Auswärtsspiel war, schwenkte jemand auf einer anderen Tribüne eine Israel-Flagge", erzählt Ruben Gerczikow. "Da sagte einer neben mir: 'Warum haben die da einen Judenstern? Ich gehe da gleich rüber und schnappe ihn mir.'" Der 22-Jährige ist ein jüdischer Fußballfan, ein Groundhopper, also einer, der Fußballspiele sammelt wie andere Briefmarken. Gerczikow berichtet von Mitgliedern seiner Gemeinde, die aus Furcht ihre jüdische Kopfbedeckung, die Kippa, zu Hause lassen, wenn sie ins Stadion gehen.
Reinigungsprozess unter den Fans
Gerczikow war in diesem Februar nach Frankfurt gekommen, um an der Veranstaltung "You'll never walk alone" teilzunehmen, bei der Fanvertreter und Fachleute über Antisemitismus im deutschen Fußball diskutierten. Im Vergleich zu den 1980er Jahren, als es kaum Fangruppen gab, die gegen Antisemitismus und Diskriminierung kämpften, und man aus vielen Fankurven noch Auschwitz-Gesänge hörte, habe sich einiges zum Positiven entwickelt, sagt Robert Claus, Buchautor und Experte für Rechtsextremismus im Fußball, der DW. Es habe einen "Reinigungsprozess" unter den Fans gegeben: "Sie haben darüber diskutiert, was bei Fußballspielen gesungen werden soll und was nicht. Wenn heute jemand im Stadion Sieg heil brüllt und dabei gefilmt wird, wird er auch sehr wahrscheinlich bestraft."
Pädagogischer Effekt
Die Bedeutung der Faninitiativen im Kampf gegen Antisemitismus im deutschen Fußball unterstreicht auch Michael Gabriel. Er leitet die "Koordinationsstelle Fan-Projekte" (KOS) in Frankfurt. "Die Arbeit der Fanprojekte spielte eine große Rolle", sagt Gabriel der DW. "Unsere Arbeit fördert gesellschaftliche Werte und die Bereitschaft, sich für diese Werte einzusetzen."
Vor allem bei jungen Fußballfans gehe es auch um einen pädagogischen Effekt: "Junge Menschen haben noch keine komplette Weltanschauung. Gemeinsame Erfahrungen können da viel bewirken." Gabriel weist darauf hin, dass sich in der Shell-Jugendstudie von 2015 nur etwa 40 Prozent der 12- bis 25-Jährigen als politisch interessiert bezeichneten. "Heutzutage sind junge Menschen mehr auf sich bezogen, politisches Engagement ist häufig in Vergessenheit geraten. In der deutschen Fankultur ist es eher umgekehrt." Es seien die Fans gewesen, so KOS-Chef Gabriel, die ihre Vereine aufgefordert hätten, im Kampf gegen Diskriminierung Stellung zu beziehen.
Spiegel der Gesellschaft
Für Fußballfan Gerzcikow hat sich das Problem nur an eine andere Stelle verlagert. "Es ist etwas naiv zu glauben, dass der Antisemitismus verschwunden ist", sagt der 22-Jährige. "Mag sein, dass er langsam aus den Stadien verschwindet, aber die antijüdische Stimmung ist immer noch da." Die Behörden verzeichnen eine steigende Zahl antisemitisch motivierter Straftaten in Deutschland, die Täter stammen sowohl aus der rechtsextremen, als auch zunehmend der islamistischen Szene.
Besteht die Gefahr, dass auch in den Stadien die Stimmung wieder Richtung Antisemitismus umschlägt? "Es gibt problematische Entwicklungen in der Gesellschaft. Heute kann man öffentlich Dinge sagen, die bisher undenkbar erschienen", sagt KOS-Leiter Gabriel. "Das bedeutet, die Tendenz verstärkt sich, zu diskriminierender Sprache zu greifen." Diese Gefahr sieht auch Rechtsextremismus-Experte Claus: "Verschiedene Gruppen kämpfen um die Vorherrschaft in den Stadien. Es bleibt abzuwarten, wie sich das entwickelt." Der Fußball sei in dieser Hinsicht ein Spiegel der Gesellschaft.
Geht es also nur um die Frage der politischen Bindung? Nein, sagt der jüdische Fußball-Fan Ruben Gerczikow: "Gegen Rassismus und insbesondere Antisemitismus zu sein, ist für mich keine Frage der Politik. Es sollte ganz einfach normal sein."