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Politik

Putin will bei Belarus kein Risiko eingehen

20. August 2020

Wladimir Putin kann keine Panzer nach Belarus schicken. Aber er wird sich bemühen, Alexander Lukaschenko aus der Klemme zu helfen - allerdings zu den Bedingungen Moskaus, meint Konstantin Eggert.

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Russland Sotschi Alexander Lukaschenko und Waldimir Putin
Bild: Reuters/S. Chirikov

Während die Staats- und Regierungschefs der EU einen Sondergipfel zur Lage in Belarus abhielten und beschlossen, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen, trat Alexander Lukaschenko plötzlich in Aktion.Jetzt, da ihm die EU die Legitimität abspricht, ist er wieder frei, kann sich benehmen, wie er will. Er braucht nicht mehr so zu tun, als ob die Stimme Brüssels zählte. Auf der Sitzung seines Sicherheitsrates forderte er daher, dass die Polizei die Kundgebungen der Opposition in der Hauptstadt Minsk, die er als "Unruhen" betrachtet, "unterdrückt".

Es war vorhersehbar, dass Lukaschenko für die regierungsfeindlichen Proteste nun "ausländische Einmischung" verantwortlich macht. Er befahl seinen Diplomaten, die westlichen Regierungschefs, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, zu warnen, dass er sie "für die Einmischung" in Belarus "verantwortlich machen werde".

Sein wieder entdecktes Durchsetzungsvermögen könnte das Ergebnis von vier Telefongesprächen sein, die Lukaschenko mit Wladimir Putin geführt hat. Der russische Präsident ist der einzige wirkliche Verbündete, den der Diktator in Minsk noch hat.

Putin - Advokat autoritärer Regime

Trotz der gegenseitigen persönlichen Abneigung wird Putin alles in seiner Macht Stehende tun, um Lukaschenko beim Überleben zu helfen - politisch und, falls nötig, auch physisch. Putin scheint sich als Verfechter der belagerten autoritären Regime der Welt zu sehen: Von seiner Intervention in Syrien im Jahr 2015 bis zur Rettung von Baschar al Assad, con seiner entschlossenen Unterstützung für Nicolas Maduro in Venezuela bis hin zur Revolution in Belarus.

Der Fall Belarus ist für Putin ein ganz besonderer: Das Land ist wirtschaftlich fast vollständig von Russland abhängig und durch eine Vielzahl von Verträgen an den großen Nachbarn gebunden. Beide Staaten verfügen über ein gemeinsames System zur Kontrolle der Außengrenzen sowie über ein gemeinsames Luftabwehrsystem. Die meisten Russen sehen die Belarussen als ihre ethnischen Verwandten mit einer ähnlichen Denkweise.

von Eggert Konstantin Kommentarbild App
Konstantin Eggert, DW-Autor und russischer Journalist

Ein Sturz Lukaschenkos durch eine wie auch immer geartete Revolution wäre für das Ansehen Putins ein schwerer Schlag. Nicht nur, dass ihm die Idee der "Volksmacht" ihm völlig fremd zu sein scheint. Er könnte auch besorgt sein, dass sein eigenes Volk an der Idee einer Revolution Gefallen finden könnte.

"Brüderliche Beratung"

Außerdem könnte die Putin unterwürfige politische Klasse Russlands einen Sturz Lukaschenkos als Zeichen des politischen Niedergangs und Schwäche sehen - eine Vorstellung, die Putin vermutlich verabscheut. Er kann sich einen Führungswechsel in Belarus, den er nicht gebilligt hat, deshalb auf keinen Fall leisten.

Der Kreml wird wohl vorerst davon absehen, russische Truppen zur "brüderlichen Hilfe" nach Belarus zu entsenden, obwohl dies nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Das Risiko zivilen Widerstands und massiven Blutvergießens ist zu hoch. Außerdem ist diese Idee bei den Russen nicht beliebt, dessen ist sich der Kreml sehr bewusst.

Aber er verfügt über eine Menge anderer Instrumente - Ressourcen für elektronische Kriegsführung und Überwachung, Geld und eine gigantische Propagandamaschine, die Lukaschenko zur Verfügung gestellt werden sollen. Außerdem kann Moskau den belarussischen Sicherheitsdiensten helfen und dies als "Beratungsmission" bezeichnen.

Moskaus Hilfe hat ihren Preis

Wenn Lukaschenko mit Hilfe Moskaus politisch überlebt, wird er einen Preis dafür zahlen müssen: von der Anerkennung der Annexion der Krim, über das Recht für Moskau in Belarus Militärbasen zu bauen, bis hin zu einer einheitlichen Steuerpolitik mit Russland - alles alte Forderungen Moskaus.

Dadurch würde Belarus de facto zu einer russischen Provinz. Sollte Lukaschenko jedoch gezwungen sein, sein Amt aufzugeben, wird Putin wahrscheinlich auf seinen Plan B zurückgreifen: Bei neuen Präsidentschaftswahlen würde sich der Kreml einen geschmeidigen pro-russischen Kandidaten aussuchen und hart für ihn eintreten - wer auch immer das sein mag.

Putins größte Furcht ist ein demokratisches, westlich orientiertes, EU-freundliches Belarus. Auch wenn dies gegenwärtig nicht sehr wahrscheinlich ist, der Kreml will kein Risiko eingehen.

Putins setzt darauf, dass EU und USA es nicht wagen würden, ihn auf seinem eigenen Terrain herauszufordern. Und dass sie schließlich von anderen Problemen abgelenkt werden und ihm Belarus überlassen. Angesichts der anhaltenden Corona-Pandemie, der US-Präsidentschaftswahlen und der anhaltenden Differenzen in der Russlandpolitik zwischen östlichen und westlichen EU-Mitgliedern sind diese Hoffnungen nicht völlig unbegründet.