Geschäftsmodell Auschwitz? Nazi-Enkel ein Betrüger
13. August 2020Es war ein eher unscheinbares Leben, das Rainer Höß bis vor gut zehn Jahren geführt hat, als Koch in Baden-Württemberg. Es hätte sich wohl bis heute kaum jemand für den 55-Jährigen interessiert. Aber Rainer Höß ist der Enkel einer der monströsesten Gestalten der NS-Diktatur: Sein Großvater Rudolf Höß hat das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau aufgebaut und mehr als drei Jahre lang als Kommandant geleitet, von Mai 1940 bis November 1943. Mehr als eine Million Menschen, vor allem Juden, wurden dort bis 1945 getötet, Mord in industriellem Ausmaß. Als Kriegsverbrecher wurde Rudolf Höß 1947 zum Tode verurteilt und am Ort des früheren Konzentrationslagers gehängt. Reue über seine Taten hat er nie gezeigt. Auschwitz - ein Ort und seine erschütternde Geschichte
Etliche Söhne und Enkel von führenden Figuren der Nazi-Herrschaft haben sich ihrer Familiengeschichte gestellt. Der Journalist und Buchautor Niklas Frank etwa rechnete erbarmungslos mit den Gräueltaten seines Vaters Hans Frank ab, der als "Generalgouverneur" im von Deutschland besetzten Polen an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt war.
Bei Rainer Höß steht der Verdacht im Raum, dass die öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung mit seinem Großvater von Geltungssucht und finanziellen Interessen geleitet wurde.
Rainer Höß findet erst als Jugendlicher heraus, welche Rolle sein Großvater gespielt hat. Er wird zum öffentlichen Mahner. Seit Jahren spricht er mit Schülern über die Lehren aus dem Nationalsozialismus, besucht mit Schulklassen Auschwitz und zeigt den jungen Leuten dabei auch die "Villa Höß", in der der Großvater als Lagerkommandant mit seiner Familie gewohnt hat.
Aufstehen gegen den "Rechtsruck"
Der Journalist Eldad Beck von der israelischen Tageszeitung "Israel Hayom" fährt mit ihm 2010 zur heutigen Gedenkstätte Auschwitz. Spätestens dieser Bericht macht Rainer Höß bekannt. Er tritt in Talkshows auf, deutsche und ausländische Fernsehsender reißen sich um ihn. Die Holocaust-Überlebende Eva Mozes Kor "adoptiert" ihn, den Enkel des KZ-Massenmörders, symbolisch.
Auch die Deutsche Welle bringt zum diesjährigen Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar einen Film über Rainer Höß. Mit 15 sei ihm klar geworden, was damals passiert sei, sagt er in dem Film. Der Großvater sei Gefängnisdirektor gewesen, habe man ihm gesagt. Die Vergangenheit sei in der Familie "glorifiziert" worden. Und Rainer Höß sagt auch, warum er an die Öffentlichkeit gegangen ist: "Weil ich einfach gesehen habe, wie dieser Rechtsruck weltweit immer mehr kommt und dass die Leute weltweit wieder anfangen, das alles zu ignorieren." Höß lässt sich in Solidarität mit den Opfern seines Großvaters sogar einen Davidsstern auf die Brust tätowieren.
Geschäfte mit Auschwitz-Familienfotos
Doch Eldad Beck nennt in der Zeitung "Bild am Sonntag" vom 2. August dieses Jahres auch den Grund, wie er damals überhaupt auf Höß aufmerksam wurde. Es ist ein für Beck verstörender Grund: Höß habe eine Kiste mit Familienfotos des Großvaters aus der Zeit in Auschwitz der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem nicht etwa schenken, sondern verkaufen wollen. Beck hat selbst Holocaust-Opfer in seiner Familie. Er ist irritiert über diesen Versuch, den Nachlass des Massenmörders zu Geld zu machen, sucht den Kontakt zu Höß.
Inzwischen wirft ihm nicht nur Eldad Beck vor, die Geschichte seines berüchtigten Vorfahren hemmungslos für sich auszunutzen. "Gelsenzentrum", ein Portal für Stadt- und Zeitgeschichte in der Stadt Gelsenkirchen, zum Beispiel beschuldigt Rainer Höß, "aus dem Leid von Millionen im Holocaust ermordeter Menschen Kapital zu schlagen".
Sein Bruder Kai Höss (er schreibt seinen Nachnamen inzwischen mit ss), der lange über den jüngeren Bruder geschwiegen hat, dementiert inzwischen einiges, was Rainer in seinem 2013 veröffentlichten Buch über seine Familie schreibt. Der evangelikale Pastor sagte im Juli der Online-Ausgabe der "Sunday News", dass er zum Beispiel nichts darüber wisse, dass sein Vater den Sohn Rainer als Kind geschlagen habe. Den Vater Hans-Jürgen Höß beschreibt Kai Höss als zurückhaltenden, passiven Menschen.
Urteil wegen Betrugs
Bis zum 24. Juni dieses Jahres gilt Rainer Höß' Vermarktung seines Enkelstatus manchen als moralisch fragwürdig. Doch spätestens an diesem Tag wird deutlich, dass sie in manchen Fällen auch strafrechtlich relevant ist. Vom Amtsgericht Leonberg in Baden-Württemberg wird er an diesem Junitag "wegen Betruges zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe" verurteilt, wie die Richterin Jasmin Steinhart der Deutschen Welle telefonisch bestätigt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Neben den Bewährungsauflagen von 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit "wurde auch die Einziehung von 17.000 Euro" angeordnet. Und: Es wird bei dem Prozess auch klar, dass Rainer Höß bereits "mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und verurteilt wurde", so Steinhart.
Das jüngste Urteil bezieht sich auf ein Filmprojekt: Rainer Höß hatte sich von einem süddeutschen Unternehmer die jetzt eingezogenen 17.000 Euro für einen angeblich von ihm selbst produzierten Film über den Holocaust "geliehen". Er habe zwar ein Vermögen in Millionenhöhe, sagte er dem Mann, das aber sei angelegt in Grundstücken in den USA. Er komme nicht an das Geld heran und ihm fehlten nur noch einige zehntausend Euro. In Wirklichkeit ist Höß zu diesem Zeitpunkt hochverschuldet.
Höß will gegen die Medienvorwürfe klagen
Das Urteil hat Rainer Höß offenbar akzeptiert. "Eine Revision wurde nicht eingelegt", heißt es in einer Mitteilung des Amtsgerichts Leonberg an die Deutsche Welle. Anders sieht es mit den Medienberichten in der "Bild" und in "Gelsenzentrum" aus. Von der Deutschen Welle nach seiner Reaktion befragt, hat Rainer Höß in einer E-Mail geantwortet: "Nach Rücksprache mit meinen Juristen werden wir momentan keine Stellungnahme abgeben. Ich kann ihnen soviel sagen, dass wir derzeit eine Klage diesbezüglich vorbereiten."
Doch wie sieht er das Urteil des Leonberger Amtsgerichts? Sieht er seinen Ruf als Mahner dadurch beschädigt, und wird es etwas an seinen öffentlichen Auftritten ändern? Auf die Anfrage der Deutschen Welle, dazu Stellung zu nehmen, hat Rainer Höß bislang nicht geantwortet.