Hartz IV spaltet die Koalition
25. September 2010Der Druck auf die Regierungskoalition in Berlin wächst, die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen. Die SPD drohte mit einer Blockade im Bundesrat, sollte die Erhöhung nicht hoch genug ausfallen. "Es wird gekungelt, es wird gemauschelt, es wird getrickst, um die Hartz-IV-Sätze künstlich nach unten zu rechnen", kritisierte Generalsekretärin Andrea Nahles am Samstag (25.09.2010) in Berlin. Die SPD werde keiner Neuregelung zustimmen, die "offensichtlich verfassungswidrig" sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies die Kritik zurück. "Die Regelsätze müssen völlig transparent berechnet werden, und das werden wir auch tun", sagte sie am Samstag auf dem Landesparteitag der rheinland-pfälzischen CDU in Mainz.
Christsoziale gegen Erhöhung
Die Koalition von Union und FDP will am Sonntag in einem Spitzengespräch unter Leitung von Bundeskanzlerin Merkel über die Neureglung von Hartz IV entscheiden. Gegenwärtig bekommen mehr als 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger pro Monat 359 Euro. Diese Zahl sei nicht nachvollziehbar, hatte das Bundesverfassungsgericht im Februar geurteilt. Die Regelsätze müssten in einem transparenten Verfahren festgesetzt werden und sich am tatsächlichen Bedarf orientieren. Laut Medienberichten plant die Regierung nun eine leichte Anhebung um etwa zehn Euro, was das nach Berechnungen aus Koalitionskreisen pro Jahr zusätzliche 700 bis 800 Millionen Euro kosten würde. Allerdings sollen Alkohol und Tabak nicht mehr zum Grundbedarf gerechnet werden.
CSU-Parteichef Horst Seehofer will eine Erhöhung jedoch verhindern. "Der Sozialstaat darf nicht aus dem Ruder laufen, er muss bezahlbar bleiben. Die CSU wird einer Regelsatzerhöhung nur zustimmen, wenn es verfassungsrechtlich überhaupt nicht anders geht", sagte er der "Bild am Sonntag" laut Vorabbericht. Auch Ausgaben für Zigaretten und Alkohol hätten "in einem Regelsatz nichts verloren, den die Solidargemeinschaft für Bedürftige aufbringt".
Menschenwürde und Existenzminimum
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, mahnte dagegen in einem Interview der "Frankfurter Rundschau" (Samstagsausgabe) an, dass sich Regelsätze am Existenzminimum orientieren müssten "und an nichts anderem". Auch der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, sagte, die Menschenwürde mache sich "nicht fest an der Kassenlage des Bundes".
Als "Schönrechnerei" kritisierte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast Überlegungen, die Zahlungen von 20 Euro pro Monat für Tabak und Alkohol zu streichen. Auf diese Weise solle der Regelsatz so niedrig gehalten werden wie bisher. Die Pläne von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) seien "eine Zumutung für alle, die auf einen wirklich realitätsgerechten und nachvollziehbaren Regelsatz beim Arbeitslosengeld II warten".
Auch die Linke forderte, Hartz IV müsse so erhöht werden, dass das Existenzminimum abgesichert ist. Linken-Chef Klaus Ernst kündigte an, die Partei werde eine eigene Kommission mit externen Experten einrichten, um zu berechnen, wie hoch Hartz IV eigentlich sein müsste, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.
Autor: Dirk Eckert (afp, dpa, epd, rtr)
Redaktion: Gerhard Friese