Indien entdeckt seine Schauspielerinnen neu
18. April 2013"Am Anfang standen nur Männer vor der Kamera. Sie verkleideten sich als Frauen und spielten die weiblichen Rollen", erzählt Filmkritikerin Namrata Joshi über die Anfänge des indischen Kinos vor 100 Jahren. "Frauen aus einer anständigen Familie haben nichts auf der Bühne zu suchen, so hieß es damals." Erst in den 20er Jahren begannen die indischen Regisseure, Schauspielerinnen zu engagieren. Allerdings beschränkte sich deren Rolle hauptsächlich darauf, "schön auszusehen", erklärt Namrat Joshi.
Das änderte sich vor allem durch die Australierin Mary Ann Evans, später als "Fearless Nadia" bekannt. Sie kam 1913 mit fünf Jahren nach Indien, wo ihr Vater in der britischen Armee diente. 1935 spielte sie in dem Film "Hunterwali" (Die Frau mit der Peitsche) die Hauptrolle, eine Premiere für das indische Kino und ein Sensationserfolg des Bombayer Studios Wadia Movietone, dem viele weitere folgten. "Fearless Nadia hat in dem Film gewisse Ähnlichkeiten mit Robin Hood. Sie machte ihre Stunts selber, sie lief über Zugdächer, trug Männer auf der Schulter, sie hat all das gemacht, was von einem Mann erwartet wird", sagt Filmkritikerin Joshi.
Starke Persönlichkeiten
Fearless Nadia machte den Weg frei für andere Schauspielerinnen, auch begünstigt durch den festen Platz, den Tanz und Musik seit Mitte der 30er Jahre im indischen Kino einnahmen. Seitdem waren Schauspielerinnen für die Filme fast so wichtig wie ihre männlichen Kollegen. Sängerinnen wurden Schauspielerinnen und trugen viel zum Glanz Bollywoods bei.
Die 50er und 60er Jahre gelten als goldenes Zeitalter der indischen Filmkunst. Schauspielerinnen wie Madhu Bala, Meena Kumari und Nargis spielten in jenen Jahren starke Frauenrollen. 1957 wurde "Mother India" als erster indischer Film für einen Oscar nominiert, was seitdem nur noch zwei weitere indische Filme geschafft haben. Im Zentrum des Filmes steht eine starke Mutter, die zum Wohle ihrer Familie gegen soziale Ungerechtigkeit und Missgunst kämpft und dabei ihre Würde behauptet.
Filmhistorikerin Namrata Joshi sieht die Filme jener Zeit aber auch kritisch. "Immer wenn eine Frau im Mittelpunkt stand, war es eine Geschichte ihres Elends. Diese Filme stellten das Leiden der Frauen in den Mittelpunkt, und wie sie für ihre Familie und ihre Gemeinschaft alles geopfert haben." Für die indische Gesellschaft sei es allzu einfach gewesen, diese Figuren einfach zu akzeptieren, merkt Joshi an.
Frauenrolle(n) im Wandel
Die 70er Jahre brachten eine Veränderung, die Schauspielerinnen Indiens waren zumeist auf Nebenrollen beschränkt. Schauspieler wie Amitabh Bachchan wurden damals so beliebt, dass die Filme sich nur noch um den männlichen Helden drehten. Die weiblichen Darsteller hatten eine untergeordnete Rolle, in der sie ein bisschen tanzten, schön aussahen und die neueste Mode zur Schau stellten. Dieses Muster galt bis Ende der 90er Jahre.
Danach wendete sich das Blatt wieder, Schauspielerinnen wie Vidya Balan und Kareena Kapoor boten den indischen Zuschauern ein anderes Frauenbild als das, was sie gewohnt waren. Filme wie "Jab We Met" (Als ich dich traf, 2007) und "The Dirty Picture" von 2011 sind einige der bekanntesten Beispiele dieses neuen Trends.
Kein Geringerer als Bollywood-Star Shah Rukh Khan hat die Aufwertung der indischen Filmschauspielerinnen zu seiner Sache gemacht. Er kündigte vor kurzem an, dass im Vorspann seines nächsten Filmes der Name der Schauspielerin vor seinem Namen erscheinen werde. Was geradezu revolutionär für Bollywood ist, wo bisher nur der männliche Held zählt. Das ist auch der Grund, warum als Höhepunkt jeder Preisverleihung am Ende der beste Schauspieler bekannt gegeben wird. Auch das soll sich bald ändern.