Jeder sechste Schüler ist Mobbing-Opfer
20. April 2017"Für manche ist die Schule ein Ort der Qual", schreiben die PISA-Bildungsexperten in einem neuen Report. Angesichts der zahlreichen Mobbing-Opfer sieht der PISA-Experte Andreas Schleicher dringenden Handlungsbedarf an deutschen Schulen. "Der Anteil betroffener Schüler ist signifikant, gerade wenn man sich nicht nur das physische Mobbing anschaut. Beim sozialen und psychologischen Mobbing sind die Größenordnungen viel stärker ausgeprägt", sagte der Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). "Das ist kein Randphänomen."
Aus einer PISA-Sonderauswertung über Lernumfeld und Lernverhalten von über einer halben Million Schüler weltweit - darunter 10.000 aus Deutschland - geht hervor, dass hierzulande fast jeder sechste 15-Jährige regelmäßig Opfer von teils massivem Mobbing an seiner Schule wird.
Körperliche und seelische Gewalt
Im Schnitt aller Teilnehmerländer der OECD ist sogar nahezu jeder Fünfte mehrmals im Monat von körperlicher oder seelischer Misshandlung durch Mitschüler betroffen. Fast jeder zehnte 15-Jährige aus Deutschland beklagt, regelmäßig Ziel von Spott und Lästereien zu sein, 2,3 Prozent geben an, in der Schule herumgeschubst und geschlagen zu werden.
"Mobbing müssen wir in Deutschland viel stärker thematisieren, weil es hier oft noch an den Rand gedrängt wird", sagte Schleicher. "Da hilft nur eine Null-Toleranz-Praxis, um deutlich zu machen, dass so etwas nicht akzeptiert wird." Der OECD-Direktor sprach sich dafür aus, im Kampf gegen Mobbing alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen - Schulleitungen, Lehrer, Eltern und Kinder. "Wenn man das Thema den Schulpsychologen und Sozialarbeitern überlässt, schiebt man es wieder nur weg."
Verhältnis zu Eltern ist entscheidend
Aber die Studie ergab auch, dass die meisten Jugendlichen in Deutschland sich in der Schule wohlfühlen und dass sie mit ihrem Leben zufrieden sind. Dabei spielt das Verhältnis zu Lehrern und vor allem Eltern eine entscheidende Rolle. Sehr wichtig sei der Studie zufolge, "dass sich Eltern für die Schulerfahrungen ihrer Kinder interessieren", betonte Schleicher. "Wenn sie den Jugendlichen zeigen, dass das Thema für sie wichtig ist, hat das großen Einfluss. Es gibt eigentlich keine Entschuldigung, dies als Eltern nicht zu leisten." Es gehe für Mütter und Väter letztlich darum, ihre Kinder zur Leistung in der Schule zu motivieren - und ihnen zugleich ganz klar Hilfen anzubieten.
"Untersuchung ist rausgeschmissenes Geld"
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, bezweifelte grundsätzlich den Wert der Untersuchung und forderte, sich daran künftig nicht mehr zu beteiligen. "Ich werde die Kultusministerkonferenz dazu auffordern, sich das Geld für solche Studien künftig zu sparen", sagte Kraus der "Bild"-Zeitung. Kraus sprach sich dafür aus, stattdessen die Unterrichtsforschung vor Ort zu unterstützen, um zu erfahren, welche Lernmethode die Beste sei. Die OECD sei "eine Wirtschaftsorganisation und keine Erziehungsmacht".
Bei der PISA-Schulstudie wurde in den vergangenen Jahren in zahlreichen Ländern mehrfach das Leistungsniveau von 15-jährigen Schülern getestet. Erstmals rückten die Bildungsforscher nun Zufriedenheit und Wohlbefinden der Jugendlichen sowie die Frage nach Zusammenhängen mit dem Leistungsvermögen in den Fokus.
pab/se (afp, dpa, epd)