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Joseph Goebbels: neue Biografie

2. Dezember 2010

Joseph Goebbels war der Mann, der Hitler machte. Ein Historiker hat jetzt erstmals alle seine Tagebücher für eine neue Biografie ausgewertet. Das Ergebnis: Goebbels war ein gestörter, abhängiger Mensch.

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Joseph Goebbels (Foto: AP)
Bild: AP

Im Februar 1943, als nach der Niederlage von Stalingrad die Sinnlosigkeit einer Fortsetzung des Zweiten Weltkrieges offensichtlich, die Lage aussichtslos war, trat Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast ans Mikrofon: "Wollt Ihr den totalen Krieg?" fragte er die aufgepeitschte Menge, die ihm ein begeistertes "Ja" entgegenschrie.

Erhebliche Persönlichkeitsstörung

Das war die Stärke von Joseph Goebbels. Hitlers Propagandachef konnte Menschenmassen mobilisieren, aufheizen, manipulieren – im Sinne der NS-Ideologie. Seine Hasstiraden gegen Juden, mit denen er den Boden für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik bereitete, waren berüchtigt. Aber der Historiker Peter Longerich hat jetzt eine 900 Seiten umfassende Biografie über Joseph Goebbels vorgelegt, die ein anderes Bild zeichnet als das des Mächtigen im NS-Regime.

Buchcover Peter Longerich Joseph Goebbels Biographie, erschienen 2010 im Siedler Verlag (Foto: Siedler)

Longerich hat als erster alle noch erhaltenen Tagebücher Goebbels ausgewertet, in denen dieser von 1924 bis zu seinem Freitod im Frühjahr 1945 Gedanken, Beobachtungen und Ereignisse notiert hatte, und damit eine Chronologie des Nationalsozialismus aus seiner Sicht hinterlassen hat. Aus diesen Selbstzeugnissen liest Peter Longerich die Konstellation einer erheblichen Persönlichkeitsstörung des NS-Propagandisten heraus.

In extremer Weise, so Longerich, sehnte sich Goebbels nach Anerkennung durch andere. Auslöser dafür mag die frühe Behinderung gewesen sein, unter der er seit einer Knochenmarkserkrankung in der Kindheit litt. Goebbels war kleingewachsen und gehbehindert. Hitlers Chefstratege kämpfte zeitlebens um Anerkennung, auch wenn er nach Außen hin stark und überlegen auftrat.

Suche nach Anerkennung

Der im katholischen Rheinland Geborene hatte sich früh von der Religion abgewandt. Der Nationalsozialismus wurde ihm Ersatzreligion. Sein neuer Erlöser hieß Adolf Hitler. "Es ist offensichtlich so gewesen, das er tatsächlich Hitler für so etwas wie einen Gottgesandten hielt, für einen Menschen mit übermenschlichen Fähigkeiten", erklärt Longerich die vollständige Fixierung Goebbels auf sein Idol. Die Partei und Hitler ermöglichten ihm den gesellschaftlichen Aufstieg und zollten ihm die Anerkennung, nach der er sich sehnte. Goebbels wurde Hitlers treuester Gefolgsmann und Vertrauter.

Joseph Goebbels bei einer Rede 1934 in Zweibrücken (Foto: AP)
Goebbels in seinem gefährlichen ElementBild: AP

Longerich zeichnet Goebbels Lebensweg nach, von den beruflichen Anfängen als promovierter Schriftsteller und Journalist, der ohne Erfolg bleibt, zum Agitator der NS-Bewegung. Von seinen Ambitionen, als Propagandaminister Kultur und Öffentlichkeit unter seinen vollständigen Einfluss zu bringen, bis zu seiner Rolle als Generalbevollmächtigter des "totalen Krieges". Goebbels Erfolgsrezept: Er benutzte die Methoden der Massen-Agitation aus den Wahlkämpfen der Weimarer Republik, entwickelte sie weiter. Er brachte die Medien mit Mitteln der Zensur auf Kurs.

Fixierung auf Hitler

Mit der Übernahme und Kontrolle aller Kulturbereiche, von Theater über den Film bis zur Musik, baute er zugleich seine Stellung als Kulturpolitiker aus. Biograf Longerich urteilt jedoch: "Es ist schon eine eigenartige Machtposition, die er sich auf den eigenen Leib schneidern konnte. Obwohl er sicher die dominierende Figur in der NS-Propaganda war, gelang es ihm jedoch niemals, den Apparat absolut zu beherrschen. Gemessen an seinen eigenen Qualitätsmaßstäben ist er nicht sehr weit gekommen."

Doch ohne Propagandaminister Goebbels, der Hitler erst als "Marke" etablierte, hätte die NS-Politik nicht eine solche Durchschlagskraft gehabt. Der Chef-Propagandist prägte das Motto "Ein Führer – ein Volk", dabei nutzte er virtuos die neuen Medien Radio und Film mit ihren Manipulationsmöglichkeiten. Die Biografie zeichnet darüber hinaus aber das Porträt eines Mannes, dem in seinem Ringen um Anerkennung und Erfolg jedes Opfer recht war, selbst seine eigene Familie. Am 1. Mai 1945, wenige Tage nach Hitlers Selbstmord und kurz vor der Kapitulation, flüchtete Goebbels mit seiner Frau Magda in den Freitod. Kurz zuvor hatte das Paar seine sechs Kinder umgebracht. Dieser zynische Mord setzte den trostlosen Schlusspunkt unter ein Leben der unbedingten Identifikation mit Adolf Hitler.

Peter Longerich: Joseph Goebbels. Biographie. Siedler Verlag, München, 2010, 39,90 Euro.

Autorin: Sigrid Hoff

Redaktion: Marlis Schaum