"Vertrauen Schaffen!"
7. Mai 2013Er hat türkischstämmige Eltern, lebt in Berlin-Kreuzberg und trägt den Davidstern. Sercan Aydilek hat viele jüdische Freunde, bezeichnet sich selbst als Atheist und trägt das religiöse Symbol als Zeichen der Sympathie zum Judentum.Der 22-jährige Berliner ist damit in doppelter Hinsicht rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. "Neulich, am S-Bahnhof Schöneweide, wurde ich als ‚Judenschwein‘ beschimpft, weil ich den Davidstern offen trage. Solche Äußerungen sind hier keine Seltenheit." In anderen Situationen wird Sercan Aydilek eher als Zuwanderer wahrgenommen und dann als „Scheiß Muslim“ oder "Dönerfresser" beschimpft. Meistens kämen die antijüdischen Parolen von rechtsradikaler Seite, sagt der junge Mann. Doch antijüdische Ressentiments sind auch in Migrantenmilieus anzutreffen.
"Traumatisierte Palästinenser"
Ahmad Mansour, israelischer Palästinenser und Teilnehmer der Deutschen Islam Konferenz, arbeitet seit 2006 als Psychologe in Berlin. Bei seinen Workshops gegen Antisemitismus kommt er mit Jugendlichen aus Zuwandererfamilien intensiv ins Gespräch. Gerade bei jungen Menschen mit palästinensischen Wurzeln etwa, spiele der Nahost-Konflikt eine große Rolle. "Wir müssen erkennen, dass viele Zuwanderer hoch traumatisiert sind. Sie haben den Krieg im Nahen Osten am eigenen Leib miterlebt, beispielsweise 2006 im Libanon." Antijüdische Ressentiments in diesem Milieu seien vorwiegend politisch motiviert. Eine Differenzierung zwischen der politischen Führung des Staates Israel und der jüdischen Religionsgemeinschaft finde vielfach nicht statt. Ein weiterer entscheidender Faktor für Antisemitismus in diesen Milieus sei der hiesige Konsum einschlägiger arabischer Medien. "Al Manar", libanesischer TV-Sender der radikal-islamischen Hizbollah etwa, verbreite ganz offen Feindbilder der Israelis und schüre somit den Hass gegen Juden. Der tägliche Konsum solcher TV-Bilder intensiviere vorhandene Traumata. Ihm sei aber wichtig, sagt Ahmad Mansour, dass nicht alle muslimischen Zuwanderer oder Palästinenser pauschal als judenfeindlich abgestempelt würden. Sie litten ohnehin schon unter der Islamfeindlichkeit und Diskriminierungserfahrungen in Teilen der Gesellschaft.
Aufklärung über Holocaust und Nahostkonflikt
Eines der Schwerpunktthemen der diesjährigen Deutschen Islam Konferenz (DIK) am 7. Mai 2013 ist die Vorbeugung gegen Extremismus und Radikalisierung, worunter auch der Aspekt des Antisemitismus im Zuwanderermilieu fällt. Mansour fordert diesbezüglich "neue pädagogische Konzepte, damit wir – wenn wir über Antisemitismus reden – alle ansprechen." Es mache keinen Sinn, Deutsche über den Holocaust aufzuklären und arabischstämmigen Schülern den Nahost-Konflikt näher zu bringen. "Das hätte fatale Folgen", sagt Mansour. Um einer Radikalisierung entgegen zu wirken, sei es wichtig, für traumatisierte junge Palästinenser Räume zu schaffen, wo sie offen über ihr Leid reden können. Zuerst Vertrauen schaffen, dann über Antisemitismus reden, lautet seine Devise.
"Anfangs keinen Draht zu Juden"
Erste Projekte, die sich mit Antisemitismus bei Jugendlichen im Migrantenmilieu auseinandersetzen, gibt es bereits. "Juan", ein Projekt der renommierten Amadeu Antonio Stiftung, wird sowohl in Berlin als auch in Hannover durchgeführt. Es richtet sich zum einen an Pädagogen selbst, setzt sich aber auch direkt mit Jugendlichen auseinander. Im DTK-Wasserturm beispielsweise, einer Jugendeinrichtung in Berlin-Kreuzberg, arbeiten erfahrene Pädagogen mit Jugendlichen aus Zuwandererfamilien. In mehrwöchigen Workshops hat sich aktuell eine Gruppe mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinandergesetzt – und das freiwillig und in der Freizeit.Abschließender Höhepunkt war eine Theateraufführung, wo die Betroffenen auch ihre ganz persönlichen Diskriminierungserfahrungen auf der Bühne verarbeiten konnten. Sena Koyuncu ist 16 Jahre alt und hat als Muslimin beim Berliner Theaterworkshop mitgemacht. „Anfangs hatte ich keinen Draht zu Juden. Aber nach diesem Projekt habe ich verstanden, wie die damals gelitten haben“, sagt die Schülerin. Sie kenne viele Gleichaltrige, die etwas gegen Juden hätten. „Meistens die Palästinser“, fügt Sena hinzu. Teil dieses Workshops war der Besuch im Jüdischen Museum und in einem ehemaligen Konzentrationslager. "Jetzt habe ich viel mehr Respekt vor der jüdischen Religion und weiß, dass Juden und Muslime auch viele Gemeinsamkeiten haben."
Verstärkt Islamfeindlichkeit den Antisemitismus?
Die Ursachen für den Antisemitismus in Zuwandererkreisen sieht Projektleiterin Susanna Harms nicht nur im Nahost-Konflikt oder durch den Konsum arabischer Medien. "Oft ist es so, dass eigene Diskriminierungs- oder Rassismus-Erfahrungen weitergegeben werden an vermeintlich schwächere oder andere Gruppen." Möglicherweise habe seit den Anschlägen vom 11. Septmeber 2001 eine zunehmende Islamfeindlichkeit zur Verstärkung von Diskriminierungserfahrungen im Migrantenmilieu geführt, die wiederum teils in antijüdischen Ressentiments mündeten.
Eigene Diskriminierungs-Erfahrungen
"Juan" – Jugendarbeit gegen Antisemitismus – bietet Heranwachsenden die Möglichkeit, sich konstruktiv mit den eigenen Diskriminierungserfahrungen auseinander zu setzen. Judith Rahner, die seit vielen Jahren in der Jugendarbeit tätig ist, sieht gerade bei jungen Menschen in der Orientierungsphase eine große Chance. "Ich bin noch nie Jugendlichen begegnet, die schon ein geschlossenes ideologisches Weltbild haben."Antijüdische oder rassistische Sprüche gäbe es zwar, aber das bedeute nicht, dass junge Menschen schon radikal seien. "Man muss dahin gehen, wo sie ihre Freizeit verbringen und dann schauen, welche Interessen und Fähigkeiten sie haben." Schwere Themen wie der Nationalsozialismus etwa könnten am besten spielerisch – durch Tanz, Theater und Gesang – aufgearbeitet werden. "Dadurch sind auch Werte und Bildungsinhalte vermittelbar. Und das kann man mit allen Jugendlichen machen – davon bin ich überzeugt."