Jung und jüdisch in Deutschland
25. Februar 2010In der jüdischen Gemeinde des Saarlandes, der Synagogengemeinde Saar, trifft sich regelmäßig eine Gruppe von jungen Leuten. Sie kommen zusammen, um jüdische Traditionen zu leben, miteinander mehr über die eigene Religion zu lernen – aber auch, um miteinander zu feiern. Lucia ist eine von ihnen. Als Kind kam sie mit den Eltern aus der Ukraine nach Deutschland. Aber erst hier wurde ihr bewusst, dass sie Jüdin ist. Wichtigstes Kriterium dafür ist nach dem jüdischen Religionsrecht, dass die Mutter jüdisch ist. Ihr Vater ist es nämlich nicht. Er ist ein russisch-orthodoxer Christ. Auch Samira kommt aus einer gemischtreligösen Familie. Ihr Vater ist Muslim. Vor bald zehn Jahren kamen sie als sogenannte Kontingentflüchtlinge aus Vorderasien, der Republik Aserbeidschan. Aber weder der jüdischen Mutter noch dem Vater war die Religion wichtig genug, um auf ihre Tochter Einfluss auszuüben. Samira hat sich für die Synagoge entschieden.
Schattendasein
Religion führte in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ein Schattendasein. Juden wurden in dem Vielvölkerstaat einzig durch ihren Pass an ihre religiöse Herkunft erinnert. Der bescheinigte ihnen, "Hebräer" zu sein. Dieser Stempel machte sie zu einer Nation, ähnlich den Tartaren, Russen oder Ukrainern. Von den mehr als 200.000 Juden, die in den vergangenen zwanzig Jahren in Deutschland eine neue Heimat gesucht haben, schlossen sich deshalb nur die Hälfte jüdischen Gemeinden an. Die anderen blieben ihrer atheistischen Erziehung treu und der Religion fern.
Aber auch in den Synagogen wurden nur wenige der Neumitglieder fromm und studierten Tora und Talmud. Viele der Älteren interessieren sich zwar für jüdische Kultur. Im Vordergrund stehen dabei jedoch weder die biblischen Geschichten von den Erzvätern oder dem Auszug aus Ägypten noch die schwierigen Tropen des Gebetsgesangs im Gottesdienst. Stolze Neugier lösen vor allem die Beiträge von Juden zu den Künsten und zur Wissenschaft aus. Die jüdische Identität der Zuwanderer ist weit mehr geprägt vom Stolz auf die Leistungen jüdischer Forscher, Musiker und Literaten. Viele der jungen Zuwanderer teilen diese Einstellung. Das unterscheidet sie von den Alteingesessenen. Für die Zukunft der Jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ist das auch zuwenig.
Impulse geben
In Berlin, beim "Zentralrat der Juden in Deutschland", richtet man deshalb ein besonderes Augenmerk auf die Jugend. Feriencamps, Jugendgruppen, Tagungen, Projekte und alljährliche Kongresse für junge jüdische Erwachsene sollen dazu beitragen, die religiöse Komponente jüdischer Identität zu stärken. Einfach wird das nicht, weiß Shila Erlbaum, die Referentin für Jugendarbeit beim Zentralrat: "Wir können nur Impulse geben, Angebote machen und Multiplikatoren schulen." Was in den Gemeinden geschieht, entscheiden die autonom. Weder der Zentralrat noch die jüdischen Landesverbände haben darauf Einfluss.
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hat sich durch die Zuwanderung ohnehin stark differenziert. Auf der einen Seite gibt es viele junge Leute, die wenig Interesse an Religion zeigen. Auf sie zielt eine unabhängige Partyszene, die junge Juden auf der Tanzfläche zu vernetzen sucht. Anlässe dafür bieten auch die jüdischen Feste und Feiertage. Auf der anderen haben sich, quer zu den jüdischen Einheitsgemeinden, religiöse Strömungen und Gemeindeverbände etabliert, die ihrer eigenen Agenda folgen.
Angebote machen
So laden nicht nur der Zentralrat und seine Zentralwohlfahrtsstelle zu Kinder- und Jugendcamps ein, sondern auch die liberale "Union progressiver Juden in Deutschland". Ähnlich hält es die ultraorthodox-chassidische Bewegung "Chabad Lubawitsch". Und um junge jüdische Erwachsene kümmern sich nicht nur der eher orthodox geprägte "Bundesverband Jüdischer Studierender in Deutschland" mit seinen Landesverbänden, sondern auch der liberale Verband "Jung und Jüdisch Deutschland". Seine Spezialität sind philosophisch-theologische Wochenend-Workshops. Junge Männer, die auf traditionell orthodoxe Weise Tora studieren wollen, können in Frankfurt und Berlin die Jeschiwa - das Lehrhaus - der "Lauder-Foundation" besuchen. Einige haben sich davon so faszinieren lassen, dass sie sogar eine Rabbinerausbildung begonnen haben.
Diese unterschiedlichen Orientierungen künftig unter einem Dach beieinander zu halten, dürfte schwierig werden, glaubt der jüdische Publizist Serge Lagodinsky. Für die Zukunft der jüdischen Gemeinden sei die jüdisch-religiöse Identität zwar unerlässlich. Der Nachteil aber sei, dass sie – anders als ein bloß ethnisches Zusammengehörigkeitsgefühl – die Menschen eher trennt als vereint.
Autor: Heinz-Peter Katlewski
Redaktion: Conny Paul