Kostüm an - Hysterie aus?
1. Februar 2016Schon von Weitem sieht und vor allem hört man sie: Bienen, Hexen, Schneewittchen, es ist eine wilde Mischung an Kostümen, die sich da in der Kölner Innenstadt versammelt hat. Rund um das "Gürzenich", einer der berühmtesten Veranstaltungshallen der Domstadt, wird an diesem Vormittag klar, dass die Stadt im Endspurt auf den Höhepunkt der "fünften Jahreszeit" zusteuert: Mehr als eine Million Besucher werden zum Rosenmontagszug in genau einer Woche erwartet. Heute ist jedoch vor allem eines auffällig: Weit und breit ist kein einziger verkleideter Mann zu sehen.
Männer müssen draußen bleiben
Sind das etwa schon die Folgen des "Einarmlänge-Abstands" zwischen Männern und Frauen, den Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker nach den Silvesterübergriffen eingefordert hatte? Eine Piratin klärt auf: "Heute ist Mädchensitzung, das bedeutet, dass lauter 'jecke Weiber' [zu deutsch: 'verrückte Frauen'] zusammen Karneval feiern." Ohne Männer, lacht die Piratin, die im echten Leben Lisa heißt und 22 Jahre alt ist, sei das Ganze doch sowieso viel lustiger. "Da muss man sich nicht so benehmen."
Die umstehenden Damen in der Schlange nicken zustimmend und drängen dann auch schon rein in die Halle: Die "Mädchensitzung im Gürzenich" hat in Köln Tradition, in einer halben Stunde geht es los mit Büttenreden, Kölsch und Gesang. Und eines scheint klar: Die "Herren der Schöpfung" werden hier und heute wirklich von niemandem vermisst.
Wirtschaftsmotor Karneval
Wie ein Hahn im Korb fühlt sich indessen der Wirt des "Kölner's", der Kneipe um die Ecke. Nicht wenige der feierwütigen Damen haben gerade auf ein Kölsch vorbeigeschaut. Henning Schulz freut sich darüber: "Wenn ich weiß, dass Sitzungen sind, sperre ich den Laden extra vormittags auf", erzählt er geschäftig. Seit sechs Jahren betreiben er und seine Freundin die Kneipe: "Vor allem die Frauen, die merken sich das und kommen jedes Jahr gerne wieder. Ich finde das toll, da erschließe ich mir doch neue Kunden, die normalerweise nicht in eine Kneipe gehen würden." Das Konzept geht auf, das Geschäft boomt wie jedes Jahr um diese Zeit.
Nicht nur Henning Schulz gönnt sich danach einen wohlverdienten Urlaub. Karneval ist in Köln schon lange keine reine Folkloreveranstaltung mehr. Knapp 490 Millionen Euro Umsatz werden pro Jahr durch die "fünfte Jahreszeit" in die Stadtkassen gespült. Allein in den wenigen Wochen um den Höhepunkt des Karnevals nimmt die Stadt rund fünf Millionen Euro an Gewerbesteuern ein.
2015 wurde der "Rheinische Karneval" zum Weltkulturerbe der UNESCO erhoben, für viele Kölner ist der Karneval der - kulturelle - Höhepunkt des Jahres. Er gehört zum Selbstverständnis der Stadt wie der Dom und der Rhein. Umso wichtiger scheint es, dass auch dieses Jahr wieder alles klappt. Die Stadtoberen haben den sicheren Verlauf des Großereignisses zur "Bewährungsprobe" für die Behörden erhoben.
Behörden in Alarmbereitschaft
Solche Sätze treiben Wolfgang Baldes die Sorgenfalten ins Gesicht. Baldes ist Hauptkommissar bei der Kölner Polizei, seine Berufung aber scheint eher darin zu bestehen "eine echte kölsche Jung" zu sein.
Aus Heimatverbundenheit engagiert sich der 49-Jährige ehrenamtlich als Sprecher der "Kölnischen Karnevalsgesellschaft". Die Stimmung in "seiner" Stadt lässt ihm keine Ruhe: "So eine Situation hat es in Köln einfach noch nicht gegeben", sagt er konsterniert. Die gewalttätigen Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht hätten massive Auswirkungen auf die Planung zu Karneval. "Alles ist dieses Jahr anders, die Polizei hat deutlich mehr Personal zur Verfügung, die Sicherheitsmaßnahmen haben wir massiv verstärkt."
Wie ernst den Behörden die Lage ist, zeigt das neue Sicherheitskonzept der Stadt. Neben überdimensionalen Beleuchtungsanlagen an neuralgischen Punkten der Stadt soll es auch einen "Security Point" in der Innenstadt geben. Dort sollen Polizistinnen und Psychologinnen helfen, etwaigen Opfern von Gewaltverbrechen Hilfe zu leisten.
Feiern ja - Aber nicht alleine
Im "Kölner's" lässt Henning Schulz die vermeintliche Krisenstimmung kalt: "Ich habe von einigen Hotels gehört, in denen man noch Zimmer bekommen kann, das hätte es früher nicht gegeben". Seine Kollegen aus der Gastronomie bedauert er auf der einen Seite: "Andererseits glaube ich ehrlich gesagt, dass das auch an den erhöhten Preisen liegen kann. Die verlangen zu Karneval ja das drei- bis vierfache vom normalen Zimmerpreis, das wird den Leuten dann vielleicht irgendwann einfach zu viel."
Auch die Frauen vor dem Gürzenich wollen sich von der allgemeinen Hysterie nicht von ihrer Feierlaune abbringen lassen. Piratin Lisa spricht stellvertretend für einen ganzen Pulk an Frauen, die zwar unterschiedlich alt sind, aus unterschiedlichen Städten kommen, die sich aber in einem einig sind: "Wir lassen uns von solchen Nachrichten nicht abschrecken und unsere Partystimmung vermiesen", stellt sie klar. Und schiebt dann zum Abschied hinterher: "Aber natürlich sind wir nie alleine, sondern immer in Gruppen unterwegs."