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Glaube

Kath. Religionsunterricht – ein hoffnungsloses Unterfangen?

8. Januar 2022

Religionsunterricht kann die schwindende religiöse Prägung der SchülerInnen nicht kompensieren. Aber wenn er Bezug auf ihre Lebenswelt nimmt und Raum für Fragen gibt, bietet er viele Chancen.

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Schüler Siebte Grundschule Mostar Unterricht
Bild: DW

„Und was studierst du so?“ „Lehramt.“ „Ah, cool! Und für welche Fächer?“ „Deutsch und Katholische Religionslehre.“ „Katholische Religionslehre? Ernsthaft? Stirbt das Fach nicht bald aus?“ So, oder so ähnlich lief so mancher „Small-Talk“ auf Partys während meiner Studienzeit ab. Und jedes Mal habe ich mir die Frage gestellt: „Lässt du dich jetzt auf eine Diskussion ein oder trinkst du weiter friedlich dein Bier?“ Zugegebenermaßen nicht immer, aber durchaus in den meisten Fällen habe ich mich tatsächlich auf eine Diskussion eingelassen. Und warum? Aus den gleichen Gründen, warum ich mich überhaupt entschieden habe, Religionslehrerin zu werden: Ich möchte Fragen Raum geben und Antwortmöglichkeiten bereitstellen.

Vor zwei Tagen haben wir das Fest der Heiligen Drei Könige gefeiert – auch bekannt als das Fest der Epiphanie, der Ankunft des Herrn. Dass die Heiligen Drei Könige irgendetwas mit Weihnachten zu tun haben, wird ein Großteil der Schülerinnen an der erzbischöflichen Realschule, an der ich gerade mein Referendariat absolviere, vermutlich noch wissen, wenn ich sie am Montag danach frage. Ein paar wenige von ihnen sind vielleicht auch mal selbst als Sternsingerinnen um die Häuser gezogen. Kaum eine von ihnen weiß jedoch vermutlich, warum das Fest der Heiligen Drei Könige ausgerechnet am 6. Januar gefeiert wird und was die „Ankunft des Herrn“ in seinem Kontext eigentlich bedeutet. Heutzutage kann tatsächlich nicht nur immer weniger religiöses Vorwissen bei den Schülerinnen und Schülern erwartet werden, auch ihre allgemeine religiöse Prägung ist zunehmend geringer - selbst dort, wo es anders vermutet wird, beispielsweise an bischöflichen Schulen wie der, an der ich selbst unterrichte.

Doch was heißt das konkret für die schulische Praxis? Wird Religionsunterricht heute tatsächlich zu einem hoffnungslosen Unterfangen?

Zunächst einmal gilt auch hier ein einfaches pädagogisches Prinzip, das Friedrich Schleiermacher auf den Punkt gebracht hat: die Schülerinnen und Schüler müssen dort abgeholt werden, wo sie stehen. Zugegebenermaßen war ich am Anfang meines Referendariats selbst etwas ernüchtert. Frisch aus dem Studium kommend wollte ich mit den Schülerinnen am liebsten über Eschatologie und die Basileia diskutieren. Das konnte ich natürlich vergessen. Paulus und die Umwelt Jesu standen auf dem Plan. Auch hier steckt unglaublich „viel drin“, wie man so schön sagt. Behandelt werden kann in der sechsten Klasse einer Realschule jedoch nur ein Bruchteil davon. Didaktische Reduktion nennt man das – einen Lerngegenstand so aufarbeiten, dass er der Lerngruppe zugänglich wird. Und je nach Lerngruppe und Schulform kann eine didaktische Reduktion ganz schön drastisch ausfallen und geht angesichts unterschiedlicher Lernausgangslagen innerhalb der Lerngruppen noch mit zahlreichen weiteren Differenzierungsmaßnahmen einher. Wenn dann das Thema auf den ersten Blick nicht sehr lebensnah anmutet, kann sich das Bild, das viele vom Religionsunterricht haben, ganz schnell bestätigen: irgendwie geht es um Gott oder Jesus, aber keiner weiß so richtig, was das bedeutet und schon gar nicht, was das eigentlich mit einem selbst zu tun hat. Um Schülerinnen und Schüler dort abzuholen, wo sie stehen, reichen didaktische Reduktion und Differenzierung nämlich noch lange nicht aus. Wichtig ist ebenso die Öffnung für persönliche und existentielle Fragen und dabei vor allem das Anknüpfen an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler.

Fragt man Erwachsene nach ihrem Religionsunterricht in der Schule, fanden viele erst in der Oberstufe Gefallen daran. Und warum? Vor allem, da hier meist Themen behandelt werden, die die Schülerinnen und Schüler ganz offensichtlich persönlich betreffen. Hierzu gehören insbesondere ethische Themen, aber auch die Religionskritik oder die Theologie der Religionen. Aber in der Sekundarstufe I? Sicher hat es einen guten Grund, warum manche Themen erst in den Lehrplänen der höheren Klassen verankert sind, da sie auf vielfältige Weise einen höheren Komplexitätsgrad aufweisen und einer tiefergehenden Auseinandersetzung bedürfen. Einen Lebensweltbezug herzustellen, das ist jedoch in jeder Jahrgangsstufe, und ich wage zu behaupten, auch bei jedem religiösen Thema möglich. Dies liegt schließlich bereits im Wesen von Religion begründet und bestimmt dabei auch jeglichen Sinn des Religionsunterrichts.  Glaubt man Augustinus, ist jeder Mensch religiös veranlagt. Menschen stellen sich nicht nur immer schon Fragen nach dem Wohin und Woher, sondern auch nach dem Wie und Wieso. Und sie entdecken ihre Religiosität dabei immer wieder neu im Kontext ihrer subjektiven Kontingenzbewältigung, das heißt dem persönlichen Umgang mit Ungewissheiten, auf die man nicht direkt eine Erklärung findet - etwa die Frage danach, was nach dem Tod passiert. Der katholische Religionsunterricht ist ein Ort, an dem solche Fragen Raum finden können und Antwortmöglichkeiten dargeboten werden – in jeder Schulform und Jahrgangsstufe. Wird ein sensibler und offener Umgang untereinander seitens der Lehrkraft gefördert, kann er dann ein Ort des Erfahrungsaustauschs und der „Herzensbildung“ werden – ganz gleich, wie gering oder stark ausgeprägt die religiöse Sozialisation und Entwicklung der Schülerinnen und Schüler sein mag und sogar dann, wenn zunächst Desinteresse oder gar Ablehnung ihre Einstellung bestimmen. Ein wesentliches Ziel von Religionsunterricht ist es vor diesem Hintergrund, die Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zu einer mündigen Religiosität zu unterstützen – ganz ungeachtet ihrer Ausgangslage. Sie sollen sich selbst ein Bild machen und die Chance erhalten, die Welt mit Blick auf die Botschaft Christi (neu) zu bewerten. Und das heißt eben nicht, einfach alles hinzunehmen, sondern zu lernen, sich mit Bedacht zu Fragen und Ansichten zu verhalten, über sie nachzudenken und sie auch zu hinterfragen. In der Praxis kann das heißen, dass die Schülerinnen und Schüler erfahren, wo sie sich selbst, ohne es vielleicht zu wissen, zutiefst christlich verhalten, wo sie sich möglicherweise getröstet und begleitet wissen oder Vorbilder für ihr eigenes Verhalten finden können – und wo eben auch nicht. Dann etwa kann es ihnen, wie Paulus auf dem Weg nach Damaskus, zuweilen wie „Schuppen von den Augen fallen“ oder sie erkennen mit dem barmherzigen Samariter das Vorbild der eigenen Nächstenliebe.

 

Und vor diesem Hintergrund erhoffe ich mir von meiner Tätigkeit als Religionslehrerin auch weiterhin, dass möglichst viele junge Menschen auf ihre Weise erleben, was die drei Könige aus dem Morgenland bereits an der Krippe erfahren haben: die frohe Botschaft, dass den Menschen mit Jesus Christus der Messias geboren wurde.

 

 

Christina Lüssem

Lehramtsanwärterin für die Fächer Deutsch und Katholische Religionslehre für die Sekundarstufe I

 

Die Autorin hat in Bonn, Münster und Köln studiert, wo sie schließlich im letzten Jahr ihr Masterstudium für das Lehramt an Haupt-, Real-, Gesamt- und Sekundarschulen mit der Fächerkombination Deutsch und Kath. Religionslehre abgeschlossen hat. Vor allem auch persönlich frustrierende Momente im Theologie-Studium haben sie dabei sehr stark geprägt und motiviert, als Religionslehrerin die Chance zu nutzen, Raum zu schaffen, um sich kritisch, (selbst-)reflexiv, aber dennoch stets konstruktiv mit dem katholischen Glauben, der eigenen Religiosität und auch Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Seit November 2020 ist sie als Lehramtsanwärterin an einer Mädchenrealschule im Erzbistum Köln tätig.