Es ist so ein bisschen wie mit dem Wetterbericht: Wenn immerzu die Sonne scheint, interessiert sich keiner wirklich dafür. Wenn das Wetter aber übel ist, wollen alle wissen, wann es denn endlich wieder besser wird. So ähnlich ist das jetzt auch in Corona-Zeiten, wo die halbe Menschheit mit Kontaktsperren konfrontiert ist und die wirtschaftlichen Aktivitäten zum großen Teil zum Stillstand gekommen sind.
Was die Wirtschaft betrifft, ist das auch die Stunde der großen Zahlen. Die Computer der Wirtschaftsforscher rechnen sich gerade heiß, werden sie doch mit Daten gefüttert, die in keinem Rechenmodell vorgesehen sind. Denn einen solchen externen Schock - so nennen die Forscher Dinge, die nicht vorhersehbar waren - hatte keiner auf dem Schirm. Nicht mal die üblichen Propheten des Untergangs. Die sagen ja immer: Der Crash wird kommen! Aber das ist keine Kunst.
Zahlen, die noch keiner sah
Jeder, der auch nur annähernd seriös daherkommen will, muss zugeben: Die Situation ist ohne Beispiel. Es gibt viele Grafiken, die das verdeutlichen, zum Beispiel über die Entwicklung am US-Arbeitsmarkt, die der Politikwissenschaftler Ian Bremmer Anfang April via Twitter verbreitete.
Und das war erst der Anfang, denn mittlerweile haben 16 Millionen US-Amerikaner ihren Job verloren. Keiner hat das prognostizieren können - schon deshalb, weil es kein historisches Vorbild gibt. Nicht die Weltfinanzkrise 2008/2009 taugt dazu, auch nicht die Große Depression Anfang der 1930er-Jahre. Aber genau das ist die Krux: Die Rechenmodelle der Wirtschaftsauguren basieren auf geschichtlichen Erfahrungen.
Trotzdem versuchen sich Institute und Institutionen an Prognosen, zumeist mittels verschiedener Szenarien. Das führt dann dazu, dass beispielsweise die Welthandelsorganisation einen Einbruch des Welthandels zwischen 13 und 32 Prozent vorhersagt. Oder das deutsche Ifo-Institut aus München, das einen Einbruch der deutschen Wirtschaftsleistung zwischen sieben und 20 (!) Prozent aufs Jahr prognostiziert. Immerhin etwas konkreter ist der Internationale Währungsfonds (IWF), der die Weltwirtschaft um drei Prozent schrumpfen sieht, gleichzeitig aber ehrlicherweise einräumt, dass die Schätzung am Ende auch Makulatur sein könnte.
Alternativen gefragt
Natürlich sind Zahlen wichtig, weil einerseits die Leute wissen wollen, wie schlimm es wirklich wird; und andererseits Regierungen ausrechnen müssen, wie viele Milliarden an Hilfen notwendig sind. Nur wie gesagt: Die Zahlen von heute sind morgen schon Makulatur, solange niemand weiß, wann es gelingt, das Virus einzudämmen. Und manche Zahlen lassen sich derzeit nur ganz schwer ermitteln: Für Daten zur Inflation werden Preise in Geschäften abgefragt - viele haben aber geschlossen. Fraglich auch, ob für den wichtigen deutschen Geschäftsklimaindex wirklich alle 7000 Unternehmen ihre Antworten liefern oder nicht doch gerade Wichtigeres zu tun haben.
So müssen sich Analysten und Wirtschaftsforscher nach Alternativen umschauen, die zwar weniger präzise, aber doch aussagekräftig sind: Aus meinem Bürofenster zum Beispiel sehe ich nach wie vor mit Containern beladene Binnenschiffe auf dem Rhein schippern. Weniger als sonst, aber immerhin. Oder man blickt in das Reservierungsportal Open Table und sieht einen dramatischen, weil 100-prozentigen Einbruch bei Tischreservierungen in Restaurants.
Oder man hört sich um und erfährt, dass Luxusartikel-Anbieter in China mittlerweile wieder ihre Boutiquen geöffnet haben und die Kundschaft auch wieder kommt und kauft. Noch lange nicht so viel wie vor Corona, aber immerhin.
Nichts, was man wissen kann
Es gibt ehrliche Stimmen in diesen Tagen, die zugeben, dass ihre Vorhersagen wenig belastbar sind. Torsten Slok zum Beispiel, für die Deutsche Bank in New York, sagt, man habe schlicht nichts, was man in den eigenen Modellrechnungen in die Spalte für die Variablen eintragen könne. Und selbst der Chef der US-Notenbank, Jerome Powell, muss in Bezug auf die Corona-Seuche zugeben: "Das ist nichts, was man wissen kann."
Das ist entwaffnend - und tröstlich zugleich. So bleibt nur, den Kopf einzuziehen und abzuwarten, bis der Sturm vorüber ist. Dann wird man den Schaden sehen, den das Virus angerichtet hat. Aber fragen Sie jetzt bitte nicht, wie groß der Schaden sein wird. Klar ist nur: Da wartet eine Menge Arbeit.