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Politik

Zeit für eine sachliche Auseinandersetzung

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Ines Pohl
20. Januar 2018

Seit einem Jahr ist US-Präsident Donald Trump im Amt. Seine Kritiker machen es sich viel zu einfach, wenn sie sich allein im blinden Hass auf ihn vereinen, meint DW-Chefredakteurin Ines Pohl.

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USA Trump unterzeichnet Tax Cut Bill
Bild: picture alliance/dpa/Pool/CNP/Med/M. Theiler

Hassfiguren haben den großen Vorteil, dass man sich hinter ihnen versammeln kann. Hass macht blind. Und so verschwinden im gemeinsamen Hassen alle Unterschiede, Gegensätze und Widersprüche. Hassen vereint. Und Hassen gibt das Gefühl, eine Vorstellung von einem besseren Leben zu haben, wenn es an wirklichen Ideen und Visionen mangelt.

Wenn man in diesen Tagen in die USA blickt, ist es nicht mehr länger der Traum von einem besseren Leben, der dieses riesige Land - so wie seit Jahrhunderten - zusammen hält. Wenn es ein dominierendes Gefühl gibt, ist es das des Hasses auf das andere politische Lager. Im Zweiparteiensystem ist das relativ einfach. Wie es schon im Matthäus-Evangelium (Kapitel 12, Vers 30) steht: "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich."

Wahlkampf direkt begleitet

Ich war 2016, dem Jahr, als Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, als Korrespondentin der Deutschen Welle in den USA. Reiste Tausende Meilen vom Osten in den Westen, vom Norden in den Süden. War in den Metropolen unterwegs. Aber vor allem auch dazwischen, in den Kleinstätten und ihren Sportarenen. Ich habe seinen Marsch ins Weiße Haus von Anfang an begleitet. Habe erlebt, wie er die Massen - Studierende und Arbeiter, Rentner, Mütter, Hausfrauen und Geschäftsleute - begeisterte. Und wie lange es gedauert hat, bis die Demokraten überhaupt erst auf die Idee kamen, dass dieser Mann es tatsächlich schaffen könnte - sich zunächst als Spitzenkandidat bei den Republikanern und dann im direkten Kampf gegen Hillary Clinton durchzusetzen. Das war die Arroganz der Macht: Wie sollte es möglich sein, dass ein TV-Star sich gegen den Machtapparat Clinton durchsetzt? Jener Frau, die so tief blicken ließ, als sie die Trump-Unterstützer als bedauernswerte Menschen bezeichnete.

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DW-Chefredakteurin Ines PohlBild: DW/P. Böll

Undemokratischer Reflex

Vor einem Jahr nun legte Donald Trump seinen Amtseid ab. Im nieselgrauen Washington. Seitdem scheint eine vernünftige Auseinandersetzung mit der Politik des Präsidenten in den USA nicht mehr möglich. Es gibt nur diesen einen Reflex: "wie furchtbar, wie schlimm, wie schrecklich".

Das ist undemokratisch. Denn schließlich wurde Trump gemäß dem amerikanischen Wahlrecht gewählt. Und es ist dumm. Auch viele liberale Medien verspielen damit weitere Glaubwürdigkeit.

Natürlich ist es ihre Aufgabe darauf hinzuweisen, wie gefährlich viele Tweets des Präsidenten sind. Oder durch Recherche und mit Fakten darzulegen, wer wirklich und langfristig von seiner Steuerreform profitiert. Aber für jeden kritischen Geist sollte es selbstverständlich sein, offen und ohne Schaum vor dem Mund auch beim politischen Gegner das Richtige und Gute herauszuarbeiten und wertzuschätzen.

Richtige Forderungen an Deutschland

Was zum Beispiel ist falsch an der Forderung, dass Europa endlich zu einer gemeinsamen, starken außen- und verteidigungspolitischen Politik finden muss? Warum sollte ein amerikanischer Präsident Deutschland nicht auffordern dürfen, sich finanziell stärker als bisher an der NATO zu beteiligen? Und gerade Deutschland sollte sehr ausführlich auf seine eigene Europapolitik blicken, wenn es "America first" kritisiert. Denn auch unser Finanzminister hatte in den vergangenen Jahren mit seiner Austeritätspolitik sehr wohl das Wohl vor allem des eigenen Landes vor Augen. Ebenso ist die überbordende Bürokratie und Misswirtschaft der UNO ganz bestimmt ein sinnvolles Thema.

Auch mich erschrecken die aggressiven Tweets von Trump gegenüber Nordkorea. Sie machen mir Angst. Ich sehe aber auch das Unvermögen der Regierung unter Barack Obama, den wirklichen Stand der atomaren Aufrüstung Pjöngjangs erkannt zu haben. Und ja, auch mich besorgt es, wenn ich sehe, wie Russland und auch China in das Vakuum vordrängen, das die USA durch ihren Rückzug als internationale Ordnungsmacht hinterlassen. Aber auch hier gehört zum Gesamtbild, dass es Barack Obama war, der eine neue Doktrin ausgegeben hat mit seinem "leading from behind". Und sein Versagen in Syrien, überhaupt im Mittleren- und Nahen Osten, kann man nun wirklich nicht der Trump-Administration anlasten.

Amtszeit noch lange nicht vorbei

Den wegweisendsten Satz des gesamten Wahlkampfspektakels hat für mich Michelle Obama gesagt: "When they go low, we go high", frei übersetzt: "Wenn die anderen sich daneben benehmen, dann antworten wir mit Anstand und Stil." Das sollten sich alle Trump-Kritiker zu Herzen nehmen. Im In- wie im Ausland.

Donald Trump ist seit einem Jahr im Amt. Und allen Hoffnungen auf ein Amtsenthebungsverfahren zum Trotz sieht es so aus, dass er auch noch eine gute Weile weiterregieren wird.

Es gibt die schöne amerikanische Redewendung: "Get over it." Frei übersetzt: "Jetzt ist es eben so." Ein guter Zeitpunkt also, die Diskussionen um Trump zu versachlichen. Sich nicht länger mit seinen Haaren und seiner Gesichtsfarbe zu beschäftigen. Sondern mit seiner Politik. Sachlich. Und abwägend. Sich nicht über jeden Tweet zu echauffieren - sondern zu beleuchten, was falsch oder auch, was sinnvoll ist an seinen politischen Forderungen. Und dabei auch anzuerkennen, wie schwierig ist, in dieser Welt politische Verantwortung zu tragen.

Denn Hassen ist einfach. Wirkliche Alternativen zu erarbeiten und anzubieten ist viel schwieriger.

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Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl