Es war ein Event. Ja, das kann man sagen. Aber das macht das Gespräch von Barack Obama und Angela Merkel beim Kirchentag in Berlin nicht schlechter. Die beiden diskutierten 90 Minuten zwischen Leichtigkeit und Tiefgang. Das sagt etwas aus über verantwortetes Handeln aus dem Glauben heraus und auch über ein mögliches Scheitern und was daraus folgen kann. Das wird die knapp fünftägige Großveranstaltung überragen.
Man kann anmerken, welche Namen nie fielen. Die beiden nannten weder US-Präsident Donald Trump noch seinen russischen Kollegen Wladimir Putin, übrigens auch nicht Papst Franziskus. Und sie erwähnten nie explizit konkrete Problemfelder wie Russland oder Nordkorea oder auch das große China als Herausforderung für den Westen. All das wäre zu kleine Münze gewesen. Da saßen zwei, vielleicht darf man sagen: zwei Freunde, die sich darauf einließen, persönlich und nachdenklich zu werden. So gut dies denn im mehr oder weniger familiären Rahmen mit 70.000 Zuhörern möglich war.
Das reichte von Obamas Bemerkung zur Aufarbeitung seines Schlafdefizits aus der Zeit seiner Präsidentschaft über Merkels Eingeständnis, einfach nicht singen zu können, bis hin zu ganz ernsten Fragen, Fragen von Leben und Tod. Die zeigten, dass Politiker es immer mit Verantwortung zu tun haben und schlimmstenfalls gelegentlich wohl auch mit Schuld. Niemand schiebt gerne Geflüchtete mit all ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben ab. Und wer einmal Drohnen zum Töten auf den Weg brachte, wird das vermutlich nicht mehr los. Obamas "die Welt befindet sich am Scheideweg" klingt bitterernst.
Hoffnung in die Jugend
Gleich in seinem ersten Redebeitrag brachte das Ex-Staatsoberhaupt seine Botschaft an, die dann aber auch viel über das Format Kirchentag sagte. Obama äußerte überrascht, dass er beeindruckend viele junge Menschen im Publikum sehe. Denn junge Menschen seien die Zukunft einer besseren Welt, sie stünden in der Verantwortung und müssten an einer besseren und gerechteren Welt mitarbeiten. Seine Obama-Stiftung widme sich besonders diesem Thema. (Übrigens: Er trat beim Christentreffen ohne Honorar auf; das ansonsten stattlich ist.)
Wie passend zum Kirchentag: Denn bei allen Problemen, die die Großkirchen in Deutschland angesichts von Kirchenaustritten und verdunstenden religiösen Überzeugungen haben - Kirchentage zeigen geradezu mit Wucht ein junges Gesicht. Das Gesicht derer, die sich einbringen wollen, die mitgestalten wollen und sich nicht nur für das eigene Fortkommen interessieren. Das ist wichtig für die Gesellschaft. Und daraus kommt vielleicht auch der Trotz, in Zeiten der Terrorangst sich doch in die Menschenmengen zu begeben und den Alltag nicht aufzugeben.
Demut und Diplomatie
Sowohl Merkel als auch Obama machten beeindruckend deutlich, wie sehr eigene biographische Erfahrungen in Kirche oder im kirchlich orientierten Elternhaus sie prägten. "Ich weiß, ich mache auch Fehler", sagte Merkel. "Ich bin darin nicht vernichtet, sondern auch aufgehoben. Das gibt eine gewisse Demut, an die Dinge heranzugehen." Das klang wahrlich nicht nach Gefälligkeit bei einer solchen Veranstaltung. Vielleicht kann die englische Sprache da direkter werden, ohne platt zu klingen. Obama mit seiner bei allen Schwächen doch beeindruckenden Präsidentschaft ermunterte junge Leute, solche religiöse Prägung gesellschaftskritisch einzubringen. Unruhe zu stiften. Er nannte Martin Luther King, der keine vierzig Jahre alt geworden sei und doch sein Land so verändert habe.
Schließlich wurde mal wieder deutlich: Politik - das sind meist keine polternden Worte oder Entscheidungen. Politik - das ist Kärrnerarbeit, Geschick und viel Diplomatie. Das Bohren dicker Bretter. Und hohe Frustrationstoleranz. Merkel reiste gleich nach dem Obama-Gespräch zum amtierenden US-Präsidenten bei der NATO in Brüssel. Gewiss hat sie mit Donald Trump vorher geklärt, dass sie mit Obama öffentlich plaudern werde. Und gewiss wird sie beim neuen Präsidenten auf Kärrnerarbeit und viel Diplomatie und Frustrationstoleranz setzen. Manchmal ist Politik Event. Aber oft eben auch Nachdenklichkeit.
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