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Kommentar: Joachim Gauck, der große Mahner

Sarah Judith Hofmann 23. September 2014

Der Bundespräsident eröffnet den Historikertag und tut gut daran, in seiner Rede nicht auf die aktuelle Politik einzugehen, meint Sarah Judith Hofmann. Stattdessen findet er zurück zu der Rolle, die ihm am besten steht.

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50. Deutscher Historikertag 23.09.2014 Joachim Gauck
Bild: picture-alliance/dpa/Swen Pförtner

Nein, Joachim Gauck hat sich mit dieser Rede nicht weit aus dem Fenster gelehnt, er hat nicht in die aktuelle Politik eingegriffen, wie es ihm nach seiner letzten Rede mit historischem Anlass am 1. September in Danzig vorgeworfen wurde. Während der Bundespräsident sonst durchaus für provokante Töne bekannt ist, so hat er sich bei seiner Eröffnungsrede des Deutschen Historikertags auf die Rolle beschränkt, die ihm am besten steht: des Mahners, der unnachgiebig für Bürgerrechte und Freiheit eintritt.

Joachim Gauck ist ein geübter und gewitzter Redner. Ein wenig eitel ist er auch: und so war es ihm bei seiner Rede in der Universität Göttingen deutlich anzumerken, dass er es genoss, vor einer Schar international anerkannter Geschichtsprofessoren zu sprechen.

Keine historischen Gleichungen im Supergedenkjahr 2014

Schließlich ist es nicht irgendein Wissenschaftskongress, der hier eröffnet wurde, sondern der Deutsche Historikertag – und dieser wird seit jeher auch von der Politik wahrgenommen. Vor zwei Jahren sprach Angela Merkel in Berlin, davor war es der damalige Bundespräsident Horst Köhler. Helmut Schmidt hielt bereits 1978 als Kanzler die Eröffnungsrede.

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Sarah Judith HofmannBild: DW/P.Henriksen

Gauck nutzt seine Rede nicht dazu, erneut Parallelen zwischen 1914 und 2014 aufzuzeigen. Auch nicht, um davor zu warnen, die Fehler, die im Umgang mit Hitler vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen gemacht wurden, heute im Umgang mit Russland im Ukraine-Konflikt zu wiederholen (wie er es in Danzig getan hatte). Im Supergedenkjahr 2014 – 100 Jahre Beginn Erster Weltkrieg, 75 Jahre Beginn Zweiter Weltkrieg, 25 Jahre Mauerfall – und nach der Ankündigung des Historikertags, auch über den Ukraine-Konflikt debattieren zu wollen, erstaunt dies.

Den Unterdrückten und Geschlagenen eine Stimme geben

Das Motto des diesjährigen Historikertags "Gewinner und Verlierer" nutzt er, um sich für die Kleinen, die Entrechteten stark zu machen. Wer aus den Fehlern der Vergangenheit lernen wolle, dürfe Geschichte nicht nur aus Sicht der Sieger erzählen. Geschichtsschreibung, so Gauck, solle auch den Unterdrückten und Geschlagenen eine Stimme geben und ihnen damit zumindest ihre Würde lassen.

Es ist eine Rolle, die ihm, dem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler liegt. "Meine eigene Lebenserfahrung lehrt mich", so Gauck, "dass es nicht umsonst ist, sich stark zu machen für eine andere, bessere Zukunft, für eine Veränderung der Verhältnisse". Die friedliche Revolution von 1989 sei doch ein Beweis dafür, dass Geschichte gestaltbar sei. "Alles, was wir so sehr genießen, Frieden, Freiheit, Wohlstand – was Menschen in vielen Teilen der Welt bitter fehlt – ist das mühsam genug erreichte Werk von Menschen", sagte Gauck. Dies sei zerbrechlich und müsse immer wieder verteidigt und erneuert werden. Wer sich für Freiheit und Menschenwürde sowie für das Recht und die Gerechtigkeit, Anstand und Menschlichkeit einsetze, möge vielleicht für eine Zeit auf der verlorenen Seite gewesen sein, so Gauck, "auf der falschen war er nicht".

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Gaucks großes Thema: die friedliche Revolution 1989 und die damals errungene FreiheitBild: picture-alliance/dpa

So mancher mag über dieses beim Bundespräsidenten wiederkehrende Thema Freiheit lächeln. Doch Deutschland kann froh sein, einen Bundespräsidenten zu haben, der in der Welt für diesen beharrlichen Kampf für Freiheit – wenn vielleicht auch leider häufig mit pastoral erhobenem Zeigefinger – bekannt ist.

Gaucks große Themen: Freiheit – und die deutschen Verbrechen

Ein Bundespräsident hat in Deutschland laut Verfassung nicht viel mehr Macht als die seiner Worte – und so ist es ein Glück, dass Gauck nicht nur gut reden kann, sondern auch deutlich zu erkennen ist, dass er hinter seinen Worten steht. In Göttingen spricht Gauck nicht nur von der Errungenschaft der friedlichen Revolution von 1989. Er spricht auch von deutscher Schuld und dem fairen Umgang der Alliierten – der Sieger des Zweiten Weltkriegs – mit den Deutschen, den Besiegten.

Deutschland Polen Gedenkfeier zum 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs
Gaucks Rede bei der Gedenkfeier (im Bild mit Polens Präsident Komorowski) hatte für Kontroversen gesorgtBild: picture-alliance/dpa

Denn auch dieses Themas hat er sich in den letzten Jahren angenommen, hat bei seinen Staatsbesuchen in Europa um Vergebung für die Gräueltaten der Nationalsozialisten gebeten. Er war neben Polen auch in Italien, Tschechien, den Niederlanden, in Griechenland und in Frankreich. Sein gemeinsamer Auftritt mit François Hollande im französischen Oradour-Sur-Glane, wo die Waffen-SS 1944 ein Massaker an der Bevölkerung verübt hatte, wurde in den französischen Medien als nach wie vor wichtige Geste der Versöhnung gewürdigt. Gauck repräsentiert ein geschichtsbewusstes Deutschland, das die Errungenschaften – und zugleich die Sensibilität – eines vereinten Europa zu schätzen weiß.

Der Historikertag, dies weiß Gauck, ist kein Ort der Handlungsanweisungen an die Politik. Dass er aber auch in Zukunft nicht schweigen wird, wenn er fundamentale Freiheiten in Gefahr sieht – wie es beim Thema Vorratsdatenspeicherung, NSA und zuletzt beim Ukraine-Konflikt der Fall war – scheint klar.

Denn auch dies zeigt sich beim Historikertag: Gauck möchte einmal in die Geschichte eingehen – als ein Mensch, der auf der richtigen, der gerechten Seite der Historie stand.