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Politik

Kramp-Karrenbauers Vision

7. November 2019

Was die Bundesverteidigungsministerin in der Universität der Bundeswehr skizziert hat, ist nichts weniger als ein Bruch mit allen außenpolitischen Traditionen der Bundesrepublik. Mut hat sie, meint Michaela Küfner.

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Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer
Die Bundesverteidigungsministerin und CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-KarrenbauerBild: Reuters/F. Bimmer

Bei ihrem Vorschlag einer international kontrollierten Sicherheitszone für Nordsyrien hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ihren sozialdemokratischen Kabinettskollegen, Außenminister Heiko Maas, noch per SMS informiert. Bei ihrem großen sicherheitspolitischen Aufschlag in Form einer Rede an der Universität der Bundeswehr dürfte sie sich das gleich ganz geschenkt haben. Nichts von dem, was Kramp-Karrenbauer vorschlägt, wird in der Amtszeit von Kanzlerin Merkel noch passieren. Um die ging es auch gar nicht mehr. Es ging darum, auch dann noch als wahrscheinliche Merkel-Nachfolgerin gehandelt zu werden, wenn die Zeit gekommen ist.

Ende des "Nein"-Reflexes

Kramp-Karrenbauer hat viel vor: einen nationalen Sicherheitsrat, der Diplomatie, Militär, Wirtschaft und Entwicklungshilfe entsprechend den strategischen Interessen Deutschlands koordiniert. Deutsches (Truppen?!)-engagement im indo-pazifischen Raum, um Partnern wie Japan, Australien und Indien angesichts der strategischen Bedrohung durch China beizustehen. Ein Ende des reflexhaften, grundsätzlichen "Nein" zum Einsatz militärischer Mittel. Auch der alleinige Mandatsgeber der Bundeswehr, der Deutsche Bundestag, soll schneller werden in der Entscheidungsfindung, um zu zeigen, dass auch eine Parlamentsarmee flexibel eingesetzt werden kann.

Deutsche Welle Michaela Kuefner, TV Portrait
Michaela Küfner ist Politische ChefkorrespondentinBild: DW/B. Geilert

All dies würde tiefgreifende strukturelle Veränderungen in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bedeuten. Doch solch einschneidende Veränderung ist schlicht das Gegenteil der politischen Marke Merkel: Denn die heißt vor allem "Stabilität". Und die wird hierzulande immer noch vor allem als Abwesenheit von Veränderung definiert. Dabei pfeifen die Analysten seit Jahren von den Dächern, dass Deutschland aktiv handeln müsste, um den Status Quo als Exportnation aufrecht zu erhalten.

Dies öffentlich nicht nur zuzugeben, sondern direkt zum Umdenken aufzufordern, wird Kramp-Karrenbauer im Nachhinein - je nach Karriereausgang  der CDU-Parteivorsitzenden - als mutig oder schlicht naiv ausgelegt werden. Dass sie aktiv werden musste, um zu zeigen, dass sie Kanzlerin kann, lag auf der Hand. Es war der Vorsitzende des eigenen Jugendverbandes, der die Jagdsaison auf seine Parteivorsitzende eröffnet, die Führungsfrage gestellt hatte. Technisch stand die nach ihrer Wahl zur Chefin vor einem Jahr zwar gar nicht an. Doch für eine mögliche Merkel-Nachfolgerin gibt es keine Schonzeit.

Merkel = Stabilität?!

Die Schlagzeile "Die Sicherheit der Sahelzone ist auch unsere Sicherheit", die schon am Vorabend der Rede der Verteidigungsministerin die Richtung ankündigte, hätte noch von Angela Merkel sein können. Auch Merkel betont oft, wie wichtig die Sahel-Region für Deutschland ist. Doch da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Hatte Merkel doch ungefragt folgenden Satz am Ende der G7-Pressekonferenz zur Sicherheit der Sahel-Region im August hinzugefügt: "Wenn dazu Rat und Tat notwendig ist, dann werden wir das liefern. Aber es geht nicht um konkrete Truppeneinsätze" sagte sie in Anwesenheit von Frankreichs Präsident Macron, dessen Truppen die robusten EU-Einsätze in der Region quasi alleine stemmen.

Der Satz fasst die bisherige Leitlinie der deutschen Sicherheitspolitik ganz gut zusammen. Denn selbst wenn sich Merkels engste Berater oftmals das robuste, militärische Instrument der Durchsetzung deutscher Interesse - zumindest als Teil der Klaviatur deutscher Außenpolitik - herbeisehnen: So frontal gegen die öffentliche Meinung zu agieren, so etwas macht eine von Merkel geführte Regierung nicht. Selbst jetzt nicht, in Merkels definitiv letzter Legislaturperiode.

Der Mut der Verzweiflung?

In München tritt Kramp-Karrenbauer noch entschiedener als zuvor aus Merkels Schatten: Deutschland habe eine Pflicht daran mitzuwirken, die internationale Ordnung zu verteidigen. Das gebe es nicht zum Nulltarif. Mit ihrem Vorstoß wolle sie auch die öffentliche Debatte anregen und skizziert eine im Ausland - und erst recht auch vielen Deutschen selbst - völlig unbekannte, geostrategisch agierende Bundesrepublik. Mut hat sie. Bis zum CDU-Parteitag Ende November dürfte sich entscheiden, ob es der Mut der Verzweiflung war.