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Tiki-Taka statt deutsch ticken

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
10. August 2015

Wir Deutschen sind nicht so pflichtbewusst oder pünktlich, wie es immer heißt. Sagt zumindest eine neue Studie. Wer allerdings genauer hinsieht, merkt: Es ist fast unmöglich, heute nur deutsch zu sein, meint Martin Muno.

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Schrebergarten Deutschland Dortmund
Bild: picture-alliance/dpa

Das hören wir Deutsche doch gerne: Weltoffen seien wir, lebenslustig, verstünden gar einiges vom savoir-vivre und hätten mit den ur-deutschen Sekundärtugenden Pflichtbewusstsein, Disziplin und Pünktlichkeit immer weniger am Hut. Das zumindest legt die Studie "Wie wir Deutschen ticken" nahe, die auf repräsentativen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov basiert. Endlich also eine Studie, die verlässlich aussagt, wie rund 80 Millionen Menschen im Alter zwischen einem Tag und 111 Jahren denken, fühlen und handeln?

Die Antwort lautet leider: nein - obwohl für die Studie teils informative, teils witzige Fakten aus allen Lebensbereichen zusammengetragen wurden. So sind Deutsche belesen: 58 Prozent sagen, sie hätten mehr als 50 Bücher im Regal. Ob es sich dabei allerdings um Weltliteratur oder um Kitsch handelt, bleibt unklar. Vor die Wahl gestellt, würden 57 Prozent sich eher für Wein als für Bier entscheiden. Das klingt südländisch. Tatsächlich trinkt aber jeder Deutsche im Schnitt jährlich fünfmal mehr Bier als Wein. Und - was nicht in der Studie steht: Er gibt für eine Flasche Wein durchschnittlich knapp drei Euro aus. Weltmännischer Genuss geht anders.

Der globalisierte Stehpinkler

Weiter sagt die Studie: Wir reisen gerne und durchaus auch weit weg. Wir mögen Pizza und Pasta fast so gerne wie Wurst und Sauerkraut. Wir lieben zwar unsere Autos, sehen sie aber dennoch nur als Gebrauchsgegenstand. Die Hälfte der Männer bekennt sich zum Stehpinkeln und in den deutschen Betten herrscht die Missionarsstellung vor. Interessanter zu erfahren wäre, wie sich das zwischen jung und alt, Stadt und Land oder (abgesehen vom Pinkelverhalten) Frau und Mann unterscheidet.

Wenn die Studie etwas aussagt, dann folgendes: Wir leben in einer globalisierten Welt, in der nationale Eigenheiten immer mehr zugunsten einer globalisierten Kultur abgelöst werden. Wenn das zur Folge hat, dass deutsch-sein nicht mehr mit Stechschritt und schnarrendem Befehlston verbunden wird, sondern einer gewissen Weltläufigkeit, ist das sicherlich positiv. Wenn allerdings jede Eigenheit zugunsten eines pop-kulturellen Einheitsbreis verloren geht, ist das zu bedauern. Inmitten des ganzen Ikea-Mobiliars sollte das Gelsenkirchner Barock doch nicht gänzlich verschwinden - auch wenn es hässlich ist.

Deutsche Welle Martin Muno
DW-Redakteur Martin MunoBild: DW

Insgesamt geht es aber in die richtige Richtung: So haben wir die Fußball-WM im vergangenen Jahr nicht mehr nur mit deutschen Tugenden gewonnen, sondern auch mit spanischem Tiki-Taka. Die Herausforderung dieser Tage ist, diese neu-deutsche Einstellung auch jenen beizubringen, die lautstark gegen eine vermeintliche Überfremdung protestieren.

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus@martin.muno